In einer aktuellen Entscheidung interpretiert der Oberste Gerichtshof eine Vorrangregel zu Lasten der Radfahrenden. Das ist bedauerlich.

In einer aktuellen Entscheidung interpretiert der Oberste Gerichtshof (OGH) eine Vorrangregel zu Lasten der Radfahrenden. Am 25. Februar 2016 hatte der OGH die Frage entschieden, was gilt, wenn Radfahrende, die die Radfahranlage verlassen (aber geradeaus fahren) mit Autofahrenden zusammenstoßen, die vor dem querenden Radweg das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ gegen sich wirken lassen mussten (2 Ob 135/15i).

Die Verkehrssituation stellte sich wie folgt dar: Der Unfall ereignete sich in Grießkirchen, in Oberösterreich. Der Radfahrer fuhr auf dem parallel zur Gallpacher Straße geführten getrennten Radweg. Dieser Radweg endete vor der Kreuzung mit der Industriestraße. Im vorliegenden Fall hatte also der klagende Radfahrer die Radfahranlage verlassen. Dies führt gem. § 19 Abs. 6a StVO dazu, dass er anderen Fahrzeugen im Fließverkehr den Vorrang zu geben hat. Der beklagte Autolenker befand sich auf einer Nachrangstraße. Das Gericht hatte somit zu entscheiden, wen hier das Alleinverschulden an dem Unfall trifft.

Alleinverschulden behauptet

Der Rad fahrende Kläger behauptete, der beklagte Autolenker habe das Alleinverschulden am Unfall zu verantworten, da er auf einer nachrangigen Verkehrsfläche unterwegs gewesen war. Der beklagte Autolenker behauptete das Alleinverschulden des klagenden Radfahrers, da er im Fließverkehr unterwegs gewesen war, während der Radfahrer die Radfahranlage verlassen habe. Der OGH schloss sich der Meinung des Autofahrers an und verwies darauf, dass es die Grundregel sei, dass Radfahrende, die eine Radfahranlage verlassen, sämtlichen im Fließverkehr befindlichen Fahrzeugen den Vorrang einzuräumen haben. Damit wäre die Verkehrsfläche des Autolenkers nicht mehr nachrangig und es würde auch keine „unklare Situation“ vorliegen. Diese Entscheidung ist aus Sicht des Radverkehrs bedauerlich, da meines Erachtens auch Radfahrende, die eine Radfahranlage verlassen, im Fließverkehr sein können.

Der „einprägsamere“ Grundsatz

Die Diskussion steht im Zusammenhang mit einer älteren Entscheidung aus dem Jahr 2011, wo es im Wesentlichen den selben Sachverhalt zu beurteilen galt. Allerdings mit dem Unterschied, dass hier ein Verkehrsschild angebracht gewesen war, welches dem Autofahrer signalisierte, dass eine Radroute kreuzt.

Das Gefahrenzeichen § 50 Ziff. 16 StVO war an der Kreuzung beschildert, wo der Oberste Gerichtshof noch die Ansicht vertrat, dass hier die eindeutigere Vorrangregel des § 19 Abs. 4 StVO vorzugehen habe. Damals hat der Oberste Gerichtshof noch gemeint, dass der jeweils „einprägsamere“ Grundsatz, also die eindeutigere Regel Vorrang habe, wenn sich zwei Vorrangregeln widersprechen.

Johannes Pepelnik ist Rechtsanwalt in Wien und Vertrauensanwalt der Radlobby