Ein bequemer Sattel soll nicht drücken und nicht scheuern. Kann doch nicht so schwer sein, einen passenden zu finden?! Doch. Ist es.

Reinhold Seitl beantwortet die zehn wichtigsten Fragen zum Thema Sitzen und Fahrradsattel. Illustrationen: Daniela Bernold.

Leidensgeschichten rund um schmerzvolles Sitzen gehören zum Repertoire sehr vieler, die von längeren Radausfahrten zurückkehren. Grund genug, dass wir uns diesmal genauer mit jener Zone befassen, die in der Öffentlichkeit zumeist in der Hose versteckt bleibt und im Verborgenen leiden muss.

Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst. Denn: Andauernde Schmerzen am Fahrradsattel müssen und sollen nicht sein.

1. Was drückt wie auf meinen Po?

Die wichtigsten Druck-Faktoren im Gesäßbereich beim Radfahren sind

• Körpergewicht
• Kraft in den Beinen, Pedaldruck
• Sitzposition, Satteleinstellung
• Anatomische Situation
• Bauart des Sattels
• Härte der Sattelschale

Der Druck auf den Hintern ist umso größer, je aufrechter gefahren wird, je geringer der Pedaldruck und je höher das Körpergewicht ist. Anders ausgedrückt: Leichtgewichtige mit gut trainierten Beinen und gestreckter Sitzposition haben am Fahrrad mit einem härteren Sattel wenig Probleme – wenn die Bauart des Sattels dazu passt.

2. Wie breit soll der Sattel sein?

Die Hauptlast tragen die beiden so genannten Sitzknochen oder Sitzhöcker (Sitzbeinbogen) bzw. das (Fett-)Gewebe dort. Die Breite des Sattels sollte so gewählt werden, dass die Sitzknochen satt auf dem Sattel aufliegen. Um die exakte Entfernung der beiden Sitzhöcker zu bestimmen, empfiehlt es sich, auf einem Stück Wellpappe mit Nachdruck Platz zu nehmen. Die Sitzhöcker hinterlassen dort einen Abdruck. Der Abstand zwischen den beiden Zentren der Abdrücke ergibt die – wenn man so will – „Schuhgröße“ des Gesäßes (z.B. 11 cm). Namhafte Sattelhersteller produzieren verschiedene Satteltypen in verschiedenen Breiten. Weil die Entfernung der Sitzabdrücke sich mit der Neigung des Oberkörpers ändert, soll beim Messen eine Sitzposition eingenommen werden, die jener beim Radfahren entspricht.

3. Rillen, Ritzen, Löcher?

Der zwischen den Sitzknochen liegende Bereich (Scham bzw. Damm) sollte möglichst wenig belastet sein. Aus diesem Grund werden moderne Fahrradsättel mit einer mittigen Längsvertiefung oder mit einem offenen Spalt gebaut. Das ergibt umso mehr Sinn, je weiter Fahrende ihren Oberkörper nach vorne geneigt halten.

4. Wie weich, wie schmal?

Ein weicher Sattel ist in der Regel kein bequemer Sattel! Tatsächlich sind weiche Sättel nur während der ersten Minuten angenehm. Bald belastet allerdings ein zu weicher Sattel Scham bzw. Damm, weil die Sitzknochen zu tief einsinken und so der Druck auf Scham bzw. Damm erhöht wird. Und das umso mehr, je aufrechter gefahren wird und je höher das Körpergewicht ist.

Auch ein zu schmaler Sattel belastet Scham und Damm. Die Sitzknochen haben zu wenig Auflagefläche, und das Körpergewicht muss vom sensiblen Bereich zwischen den Sitzhöckern getragen werden.

5. Glaubensfrage: Ledersättel

Man kann grob zwei Typen von Sätteln der Bauart nach unterscheiden: klassische Sättel aus dickem Kernleder, das über einen Rahmen gespannt ist – bekanntes Beispiel wären etwa die Sättel des englischen Herstellers Brooks –, und alle anderen modernen Sättel aus mehr oder weniger gepolsterten Kunststoffen mit dünner Abdeckung aus unterschiedlichen Materialien.
Welche Sättel bequemer sind, darüber wird in Radfahrenden-Kreisen heftig diskutiert. Überzeugte Ledersattel-Fans schwören auf ihre Untersätze, die sich im Lauf der Jahre immer besser dem Gesäß ihrer Besitzer anpassen. Die Gegner verweisen darauf, dass das „Einsitzen“ eines Ledersattels Wochen oder gar Monate dauern kann. Warum aber so lange warten, wenn es bei einem passenden modernen Sattel auch ohne geht?

6. Sitzen Frauen anders?

Frauen haben üblicherweise einen etwas weiteren Sitzknochen-Abstand, und die Bögen von Sitz- bzw. Schambein verlaufen flacher als bei Männern. Deshalb sollten sie Sättel mit etwas breiterem Sitzbereich und stärkerer Entlastung des vorderen Sattelbereichs (z.B. durch nach vorne auslaufenden Entlastungskanal) wählen. Das alles bedeutet aber nicht zwingend, dass die Sattelnase einfach breiter oder weicher sein soll.

7. Wann scheuert ein Sattel?

Ist die Sattelnase zu breit, scheuern die Innenseiten der Schenkel daran. Die Hose bzw. der Hintern kann aber auch im Sitzbereich scheuern. Das kann passieren, wenn der Sattel zu hoch eingestellt ist und das Becken mit jedem Tritt eine seitliche Verkippung mitmacht. Rutscht der Po beim Fahren, ist in erster Linie an eine Korrektur der Sitz- oder Sattelposition zu denken.

8. Ist eine Radhose notwendig?

Eine Radhose polstert zum einen Sitzhöcker und schützt zum anderen die sensiblen Bereiche dazwischen. Und sie ist idealerweise so verarbeitet, dass nichts drückt, kratzt oder rutscht. Wichtig: Die Radhose muss perfekt passen und soll vor allem nicht zu groß gewählt werden.

Wenn die Radhose nicht gut passt, wird es Probleme auch am besten Sattel geben. Falten oder Nähte etwa garantieren bei längeren Ausfahrten am Allerwertesten für schmerzhafte Irritationen.

Eine Radhose wird übrigens ohne Unterhose getragen. Und: sie sollte nach jeder Ausfahrt gewaschen werden, damit sich keine Bakterien im Sitzpolster einnisten können.

9. Schmieren – auch in der Hose?

Empfindliche Hinterteile freuen sich bei längeren Ausfahrten über die Behandlung mit „Chamois-Créme“. Was auf französisch nobel klingt, könnte man mit Popo-Créme übersetzen. Die Funktionsweise ähnelt der von Hirschtalg, den Wandernde zum Schutz ihrer Füße benutzen. Die Crémes wirken außerdem antibakteriell. Frei nach dem deutschen Radrennfahrer Rudi Altig: „Radfahrende müssen ihren Hintern besser pflegen als ihr Gesicht.”

10. Wie den Sattel einstellen?

Die Satteleinstellung zählt zu den wichtigsten Kriterien für schmerzfreies Sitzen. Bei richtiger Sattelhöhe soll das Bein durchgestreckt sein, wenn die Ferse auf dem Pedal aufliegt. Sitzweite: Der Abstand zum Lenker soll eine bequeme Vor-Neigung des Oberkörpers ermöglichen. Sattelneigung: Der Sattel soll grundsätzlich horizontal, also ohne Neigung der Sattelnase, montiert werden.

Eine Absenkung der Sattelnase kann (bei vorgekipptem Becken) zwar den Pedaldruck erhöhen, sollte aber nur vorsichtig vorgenommen werden, damit der Druck auf die Arme oder Hände nicht zu groß oder der Rücken nicht überbelastet wird.

Wichtig: Sattelversatz ermitteln. In der Drei-Uhr-Pedalstellung sollte ein Lot, welches unterhalb der Kniescheibe am Schienbein anliegt, durch die Pedalachse verlaufen. Fällt das Lot vor die Pedalachse, muss der Sattel nach hinten. Fällt das Lot hinter die Pedalachse, muss der Sattel nach vorne.

Ausführliche Testfahrten mit verschiedenen Satteleinstellungen lohnen auf alle Fälle.