Der Lehrberuf Fahrradmechaniker wurde in den 1970er-Jahren abgeschafft. Die Folge: ein chronischer Mangel an Fachkräften. Eine neue Fahrradmechatronik-Ausbildung soll das ändern, demnächst werden die ersten Lehrlinge fertig.

Text & Fotos: Ute Fuith.

Als Fartun Hussein (Foto oben) vor sieben Jahren als Flüchtling aus Somalia nach Wien kam, hatte sie keine Vorstellung davon, welchen Beruf sie einmal lernen würde. „Ich konnte nicht einmal Rad fahren“, erzählt die heute 21-Jährige. Ihre AMS-Beraterin habe sie auf die neue Fahrradmechatronik-Lehre aufmerksam gemacht. „Erst habe ich gedacht, das ist ja nur ein Beruf für Männer“, sagt Hussein – aber nach einem Fahrradkurs war ihr Interesse geweckt. Derzeit absolviert sie ihr zweites Lehrjahr bei Heavy Pedals in Wien-Margareten.

“Mit dem Fachjargon hatte ich anfangs Schwierigkeiten, aber ich lerne jeden Tag dazu.”

Der Fahrradbranche fehlen seit vielen Jahren Spezialist*innen. In den 1970er-Jahren wurde der dreijährige Lehrberuf „Fahrradmechaniker“ abgeschafft, er galt als „nicht mehr zeitgemäß“. Um in einem Fahrradgeschäft arbeiten zu können, brauchte es danach keinen Ausbildungsnachweis. Die meisten Mitarbeiter*innen hatten zwar einen technischen Background oder zumindest einen dreiwöchigen WIFI-Kurs absolviert. Mit dem Aufschwung der Elektrofahrräder ist aber inzwischen mehr Wissen gefragt. Im Jahr 2019 startete nach jahrelangen Diskussionen die neue Fahrradmechatronik-Lehre, wie jeder neue Lehrberuf vorläufig als Ausbildungsversuch: Bis 2024 können Interessierte die Lehre beginnen.

Ende 2021 gab es österreichweit 171 Fahrradmechatronik-Lehrlinge, immerhin 31 Prozent davon Frauen. In den nächsten Monaten werden die ersten Fahrradmechatroniker*innen der neuen Generation ihre Ausbildung beenden – Zeit für eine Zwischenbilanz. Wie läuft die neue Ausbildung, wie geht es den Lehrlingen damit, und was bedeutet die Änderung für die Kund*innen?

Weibliche Rollenvorbilder

Für Fartun Hussein läuft die Ausbildung gut. „Es hat mir von Anfang an viel Spaß gemacht“, sagt sie. „Mit dem Fachjargon hatte ich anfangs Schwierigkeiten, aber ich lerne jeden Tag dazu.“ Die handwerkliche Arbeit fällt ihr leichter: „Wenn mir etwas gelungen ist, möchte ich es gleich noch einmal machen“, sagt Hussein, während sie den Luftdruck eines Reifens prüft.

Eine Erleichterung war für sie, dass es bei Heavy Pedals bereits zwei Mechanikerinnen gab, weibliche Rollenvorbilder also. Die anfängliche Sorge, dass sie ihre männlichen Kollegen nicht akzeptieren würden, hat sich längst zerstreut: „Wir ziehen alle an einem Strang“, sagt Hussein, während sie sich gemeinsam mit ihrem Co-Lehrling Victor Torrealba das nächste Fahrrad vornimmt: Da müssen die Bremsseile getauscht werden.

Draußen vor der Tür inspiziert Husseins Chef Florian Weber derweil seinen Fuhrpark. Heavy Pedals, 2009 gegründet, verkauft, verleiht und repariert vor allem Lastenräder und bietet einen Lieferdienst an. Inzwischen beschäftigt das Unternehmen 41 Angestellte. Das Gute an der Ausbildung? Das sei, „dass es sie jetzt überhaupt gibt“, sagt Weber. „Es gibt einen chronischen Mangel an Fachpersonal in der Branche, seit dem E-Bike-Boom ist das noch deutlicher zu spüren.“ Heavy Pedals hat deshalb als einer der ersten heimischen Betriebe Lehrlinge aufgenommen.

Die Technik ist komplexer geworden

Einer der Wegbereiter der neuen Fahrradmechatronik-Ausbildung ist Harald Cap. Der gelernte Fahrradmechaniker hat 1976 den elterlichen Betrieb CAPO in der Wiener Wallensteinstraße übernommen.

Das Fahrradgeschäft, das Harald Cap 1976 von seinen Eltern übernommen hat, ist jetzt eine Bank – es hat sich keine Nachfolge gefunden.

Vor drei Jahren ging er in Pension. Durch die hohen Fenster der kleinen Werkstatt gegenüber, die er sich behalten hat und in der er gerade ein grasgrünes Rad für seinen fünfjährigen Enkel flottmacht, schaut er ein wenig wehmütig auf sein altes Geschäft: Da ist jetzt eine Bank drin, weil sich kein Nachfolger und keine Nachfolgerin gefunden hat. „Mir ist es wichtig, mein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben“, sagt Cap. Deshalb hat er die Fahrradmechatronik-Kurse für das WIFI designt, die er auch leitet. Bei der Ausbildung sieht Cap aber noch Verbesserungsbedarf: Es brauche mehr nicht profitorientierte Lehrwerkstätten, in denen die Auszubildenden praktische Erfahrungen sammeln können, und der Lehrstoff sei nicht einheitlich genug.

Zu diesem Lehrstoff gehören zum Beispiel das „Instandhalten und Warten von Fahrrädern und ähnlichen Fahrgeräten“ wie E-Scootern oder Segways und das „Ausbauen, Einbauen und Prüfen von mechanischen, elektrischen, elektronischen oder hydraulischen Bauteilen“. Die Lehrabschlussprüfung gliedert sich in einen theoretischen Teil, der die Gegenstände Technologie, Angewandte Mathematik und Fachzeichnen umfasst, und eine praktische Prüfung, bestehend aus einer Prüfarbeit und einem Fachgespräch.

Neuere Fahrräder seien technologisch so komplex, dass für ihre Reparatur qualifiziertes Personal nötig sei, sagt Thomas Gerhardt, der Vorsitzende der Prüfungskommission.

Thomas Gerhardt, Bundeslehrlingsbeauftragter für Fahrradmechatronik bei der Wirtschaftskammer, wird im Frühsommer als Vorsitzender der Prüfungskommission die ersten Kandidatinnen und Kandidaten bewerten. Gerhardt hat 2007 den Familienbetrieb „2rad-shop Gerhardt“ in der Wiener Langobardenstraße übernommen. Die dazugehörige Werkstatt liegt in einem idyllischen Hof mit hohen Bäumen.

Auf einer Bank im Schatten erklärt Gerhardt, warum er die neue Ausbildung so wichtig findet: Neuere Fahrräder seien technologisch sehr komplex, für ihre Reparatur brauche es schon aus Gründen der Sicherheit qualifiziertes Personal. Für die Zukunft wünscht Gerhardt sich daher, dass die Fahrradmechatronik vom freien Gewerbe wieder zum Vollgewerbe wird, dass also nur noch ausgebildete Fahrradmechatroniker*innen in Fahrradgeschäften arbeiten und auch reparieren dürfen.

Kundinnen und Kunden von Fahrradgeschäften und Werkstätten würden vom geballten Wissen und der technologischen Kompetenz der ersten Fahrradmechatronik-Generation jedenfalls profitieren, sagt Gerhardt. Teurer würden die Reparaturen durch die formelle Qualifikation der Reparierenden nicht: „Es wird ja nach demselben Kollektivvertrag bezahlt.“

Basteln und Kontakt zu Menschen

Wegen des großen Interesses geht Gerhardt davon aus, dass der Lehrberuf auch nach der Probephase weiterbestehen wird. Das vermutet auch Sarah Sutlović, die vor zwei Jahren ihre Lehre bei Gerhardt begonnen hat. Anders als Fartun Hussein hat sie sich schon als Kind für Fahrräder interessiert. Auf einer Berufsmesse hat sie vom neuen Lehrberuf erfahren und sich sofort beworben.

Sarah Sutlovic´ hat sich schon als Kind für Fahrräder interessiert und sich sofort beworben, als sie von dem neuen Lehrberuf erfuhr.

„Mir gefällt die Abwechslung, es gibt viel zu basteln, aber auch Kontakt mit Kund*innen“, beschreibt die 22-Jährige die Vorzüge ihrer Ausbildung, dann muss sie auch schon weiter: Im Hof stehen knapp 80 Fahrräder, die ihr Lehrbetrieb gemeinsam mit dem Roten Kreuz beim Bikefestival für Geflüchtete aus der Ukraine gesammelt hat. „Da ist noch viel zu tun“, sagt Sutlović und krempelt die Ärmel hoch.

Dass immer mehr Frauen wie Hussein oder Sutlović in technischen oder handwerklichen Berufen zu finden sind, ist unter anderem arbeitsmarktpolitischen Initiativen wie dem AMSProgramm „FiT – Frauen in Handwerk und Technik“ zu verdanken. Oft werden erst beim Einblick in konkrete Tätigkeiten Talente entdeckt und damit auch die Leidenschaft für einen Beruf geweckt. Beim gemeinnützigen Verein Jugend am Werk etwa finden regelmäßig Schnuppertage statt, um Frauen für handwerkliche und technische Berufe zu interessieren.

Eine Soziologin startet neu durch

Die Werkstätten von Jugend am Werk liegen etwas versteckt hinter den Betriebsgebäuden eines Mobilfunkunternehmens an der Brünner Straße. Neben einer klassischen Lehre zur Fahrradmechatronikerin bietet Jugend am Werk auch eine 20 Monate dauernde Intensivausbildung für arbeitssuchende Frauen über 18 Jahre an.

Daniela Lercher (2. v. l.) und ihre Kolleginnen werden bei „Jugend am Werk“ zu Fahrradmechatroniker-innen ausgebildet.

Aktuell nehmen neun Frauen daran teil. Eine davon ist Daniela Lercher. Die 54-jährige Soziologin hat jahrelang im NGO-Bereich gearbeitet. Für sie ist die Ausbildung die Möglichkeit, noch einmal neu durchzustarten. „Die Atmosphäre hier ist sehr gut, wir sind ein tolles Team“, sagt sie. Der Lehrstoff in der Berufsschule sei allerdings ziemlich herausfordernd: „Vor allem die angewandte Mathematik hat es in sich. Wir haben sogar eine eigene Lerngruppe gegründet. Gemeinsam werden wir es schon schaffen“, hofft Lercher. Ein paar Monate hat sie ja noch zum Lernen.

Fartun Hussein von Heavy Pedals hat noch länger dafür Zeit. Ihre Lehrabschlussprüfung ist für 2023 geplant. Nach dem Abschluss will sie gern bei Heavy Pedals bleiben. Spätestens bis dahin hat sie bestimmt auch ihre letzten skeptischen Freundinnen davon überzeugt, dass „Fahrradmechatronikerin ein cooler Job ist“.

 

Ute Fuith schreibt als freie Journalistin vor allem über Reisen, Tourismus und Gastronomie und ist im Alltag und auf Reisen meistens auf dem Rad unterwegs.

 

Weiterführende Links

> WKO Österreich – Innung der Mechatroniker
> Jugend am Werk
> BFI
> WIFI

 


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