Die Ende April vorgestellte Novelle der Straßenverkehrsordnung beinhaltet grundlegende Verbesserungen für Radfahrende, lässt aber auch Wünsche offen. Ein Überblick.

Analyse: Philipp Schober, Illustration: Markus Schuster.

Die Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt die sichere Nutzung der Straße durch alle Verkehrsteilnehmer*innen und bildet die rechtliche Grundlage für das Verhalten auf öffentlichen Verkehrsflächen. Das Bundesgesetz stammt in vielen Bereichen noch aus den 1960er-Jahren und ist entsprechend stark von der Idee geprägt, dass der Autoverkehr das ist, was zählt.

Ende April 2022 hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) eine seit drei Jahren diskutierte Novelle der StVO präsentiert. Das Paket wurde von der Radlobby Österreich mitverhandelt und bringt einige zeitgemäße und wichtige rechtliche Verbesserungen für den Radverkehr, mit denen die Regierung einen jahrelangen Rückstand zu anderen europäischen Staaten teilweise aufholt.

StVO - Mindestabstand

Mindestabstand beim Überholen

Beim Überholen von Radfahrenden müssen Lenkende von Kraftfahrzeugen in Zukunft innerorts einen Mindestabstand von eineinhalb Metern einhalten, außerorts sind es zwei Meter.

Bis zu einer Geschwindigkeit des Kfz von 30 km/h darf die Überholdistanz jedoch unterschritten werden, sofern noch ein „der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird“, eingehalten werden kann.

Der gesetzlich definierte Überholabstand hebt die Verkehrssicherheit für alle und schafft grundsätzlich klare Verhältnisse. Die derzeitige Formulierung bis Tempo 30 weicht diese allerdings wieder auf. Eine Vereinfachung der Gesetzeslage sieht anders aus.

StVO - Rechtsabbiegen bei Rot

Rechtsabbiegen bei Grünpfeil an Ampeln

Die Behörden haben künftig die Möglichkeit, dem Radverkehr an einzelnen Kreuzungen das Rechtsabbiegen bei Rot zu erlauben, indem sie dort ein Zusatzschild mit einem grünen Pfeil anbringen. An T-Kreuzungen gibt es eine analoge Regelung fürs Geradeausfahren. Die Radfahrenden haben in diesen Situationen gegenüber querenden Fußgänger*innen Nachrang und müssen vor dem Abbiegevorgang anhalten, ähnlich wie bei einem Stopp-Schild.

Vorbild für diese Regelung ist Deutschland. In Belgien, Dänemark, Frankreich und der Schweiz hingegen ist kein Halt nötig, die Weiterfahrt erfolgt nach dem „Vorrang geben“-Prinzip. Eine Regelung wie in diesen Staaten hätte deutlich mehr Komfort für Radfahrende geschafft.

StvO - Einbahnen

Öffnung von Einbahnen

Einbahnen mit Tempo 30 und einer Fahrbahnbreite von mindestens vier Metern, Parkplätze nicht eingerechnet, sollen künftig für den Radverkehr verpflichtend geöffnet werden, außer, die Behörde begründet, warum dies aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist.

Der Grund für diese Neuerung: Die Einbahnöffnung ist in Österreich schon seit den 1980er-Jahren möglich, die Umsetzung verläuft jedoch schleppend. Mit dem gesetzlichen Auftrag zur Prüfung und Öffnung soll dies nun beschleunigt werden.

Fraglich ist allerdings, wie viele Einbahnen die neue Regelung überhaupt betrifft. Flächendeckende Daten zu Fahrbahnbreiten fehlen, aber es ist anzunehmen, dass es vor allem in dicht bebauten städtischen Gebieten nur wenige Einbahnen gibt, die exklusive Parkplätze mindestens vier Meter breit sind. Die ebenfalls neuen, von einem Expert*innengremium erstellten Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS) empfehlen eine Einbahnöffnung bereits ab einer Breite von 3,5 Metern.

StVO - Nebeneinander Radfahren

Nebeneinander Radfahren erlaubt

In Zukunft erlaubt ist das Nebeneinanderfahren mit unter Zwölfjährigen – eine große Erleichterung für Eltern und andere Begleitpersonen, die sich bisher immer die Frage stellen mussten: Vor oder nach dem Kind fahren? Bei Tempo 30 ist auch das Nebeneinanderfahren mit einer weiteren erwachsenen Person gestattet, ausgenommen auf Schienenund Vorrangstraßen.

Eine Regelung, an der es nichts zu kritisieren gibt.

StVO - Radfahrerüberfahrten

Radfahrerüberfahrten

Eine minimale Änderung soll es bei der Annäherungsgeschwindigkeit an ungeregelte Radfahrerüberfahrten geben. Diesen darf man sich weiterhin nur mit maximal 10 km/h nähern, allerdings gilt das nicht mehr, wenn „in unmittelbarer Nähe aktuell kein motorisierter Verkehr fährt.“

Um die Schutzwirkung von Radfahrüberfahrten sowie Schutzwegen zu gewährleisten, ist eine grundsätzliche Neuregelung notwendig: Statt für Radfahrer*innen sollte für Lenker*innen von Kraftfahrzeugen eine maximale Annäherungsgeschwindigkeit vorgeschrieben werden.

StVO - Radinfrastruktur

Nutzung von Radinfrastruktur

Schnelle E-Bikes (S-Pedelecs) und landwirtschaftliche Fahrzeuge dürfen künftig Überland-Radwege befahren, mit maximal 25 km/h. In Bezug auf Fahrradstraßen können die Behörden „bestimmen, dass die Fahrradstraße dauernd oder zu bestimmten Zeiten oder zu Zwecken der Durchfahrt“ mit Kfz befahren werden darf. Hier orientiert sich die StVO-Novelle an der deutschen Rechtslage.

Das Ziel dieser Regelungen ist, dass künftig vermehrt Fahrradstraßen und Überland-Radwege eingerichtet werden. Hoffentlich erfüllt sie diesen Zweck.

 

Und weiter?

Nach der Begutachtung, die am 1. Juni geendet hat, wird der Gesetzesentwurf finalisiert und im Nationalrat abgestimmt. Gelten soll die neue Straßenverkehrsordnung ab Ende 2022 oder Anfang 2023.

Die Novelle ist die fahrradfreundlichste StVO-Reform der letzten Jahrzehnte. Angesichts des Klimawandels und der Tatsache, dass sich die Haltung der Gesellschaft zum Thema Mobilität stark verändert hat, ist sie aber ein zu kleiner Schritt. Wichtige Punkte im Sinne des Klima- und Umweltschutzes fehlen, hier sind rasch weitere gesetzliche Anpassungen nötig.

Zu diesen Punkten gehört beispielsweise die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeiten: Tempo 30 innerorts und Tempo 80 außerhalb von Ortsgebieten würde nicht nur den CO2-Ausstoß durch den Kfz-Verkehr verringern, sondern auch die Verkehrssicherheit für alle erheblich erhöhen. Die generelle Aufhebung der Radweg-Benützungspflicht sowie des Sondernachrangs beim Verlassen von Radwegen würde die Rechtslage vereinfachen. Auch beim Kindertransport und beim Radfahren mit Kindern sollte die Gesetzeslage weiter der Lebensrealität angepasst werden.

 


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