Reinhard Kolm, Wiener Fahrrad-Polizist und Inspektor am Wachzimmer Kandlgasse im Interview mit Klaus Brixler und Magda Jöchler über Polizei-Schikanen, Lücken in der Straßenverkehrsordnung und die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr.

Radfahrende haben oft den Eindruck, dass Kontrollen schikanösen Charakter haben. Etwa wenn kleine Mängel zu absurden Strafsummen addiert werden oder an Stellen kontrolliert wird, wo durch die Kontrollen kein Sicherheitsgewinn entsteht. Können Sie diesen Eindruck nachvollziehen?

Nachvollziehen schon. Ich vermute aber, dass die Kontrollen nur deswegen als Schikane wahrgenommen werden, weil es früher gar keine Kontrollen gab. Ich bin privat auch sehr viel mit dem Rad unterwegs und beobachte, dass sich durch die Kontrollen sehr viel gebessert hat. Zu Beginn meiner Radzeit ist bei roten Ampeln niemand stehengeblieben, heute bleiben die meisten stehen. Diejenigen, die doch drüberfahren, schauen zumindest links und rechts – das ist zwar nicht der Idealfall, aber doch irgendwie ein kleiner Erfolg.

Bisweilen wird auch mit zweierlei Maß gemessen. Wir beobachten zum Beispiel, dass an der Kreuzung Mariahilfer Straße/Neubaugasse Zufußgehende und Fahrradfahrende die Straße gemeinsam bei Rot queren. Gestraft werden aber immer nur die Radfahrenden. Ist das so?

Diese Stelle ist ein berüchtigter Ort. Dort kontrolliere ich gerne, weil viele bei Rot fahren und viele Unfälle passieren. Wir kontrollieren dort aber auch Zufußgehende, vor allem wenn sie kleine Kinder dabei haben.

Laut Landespolizeidirektion gibt es in Wien monatlich bis zu 20 Schwerpunktaktionen. Wer entscheidet eigentlich wann und wo die stattfinden?

Das entscheidet die Landesverkehrsabteilung. Wir bekommen die Termine vorab mitgeteilt, aber die Standorte erfahren wir erst bei einer halbstündigen Morgenbesprechung, z.B. eine Schwerpunktsetzung an einer Ampel, wo viele Radfahrende bei Rot fahren.

In der Community entsteht durch solche Kontrollen bei vielen der Eindruck, dass die Fahrrad-Polizei mehr eine Einrichtung ist, um die Radfahrenden zu sekkieren, statt sie zu schützen. Dabei gäbe es viele Bereiche, in denen die Radfahrenden Schutz bräuchten. Zum Beispiel die Seitenabstände, die von Autofahrenden häufig unterschritten werden, so dass gefährliche Situationen entstehen.

Das Problem der zu knappen Überholabstände ist uns bewusst. Es ist nur in der Praxis schwierig, die Einhaltung von ausreichenden Sicherheitsabständen zu kontrollieren. Ein weiteres Problem ist das Thema Dooring: Gedankenloses Öffnen von Autotüren führt immer wieder zu Unfällen und brenzligen Situationen. Es kommt dazu, dass Dooring-Vorfälle fast niemand meldet – schon gar nicht, wenn es zu keinem Unfall kommt. Autolenkende melden sich sowieso nur, wenn das Auto stark beschädigt ist und hohe Reparaturkosten drohen.

Die Salzburger Polizei setzt zur Überwachung der Überholabstände ein Radargerät ein, das den Seitenabstand misst. Gibt es bei der Wiener Polizei ähnliche Pläne?

Wenn das Ganze ausgereift ist, werden wir das in Wien sicher auch einsetzen. Wir überlegen gerade was wir machen können, ein Allheilmittel gibt es aber noch nicht.

Viele Radfahrende fahren in engen Gassen deshalb bewusst mittig auf der Fahrbahn und missachten den vorgeschriebenen Mehrzweckstreifen, damit Autofahrende gar nicht erst auf die Idee kommen zu knapp zu überholen. Machen sie sich damit strafbar?

Manche Gassen sind so eng, dass man als Radfahrender ein ungutes Gefühl hat, wenn man durch den Mehrzweckstreifen an den rechten Rand gezwungen wird. Für mich ist es deshalb nachvollziehbar, wenn Radfahrende etwas weiter in der Mitte fahren. Autofahrende, die nie auf einem Rad sitzen, können das nicht nachvollziehen.

Die ungekürzte Audio-Fassung des Interviews im Fahrrad-Podcast Reich durch Radeln

Die ungekürzte Audio-Fassung des Interviews gibt es im Fahrrad-Podcast Reich durch Radeln zum Nachhören

 

Das Verhältnis zwischen Radfahrenden und Kfz-Lenkenden ist mitunter – um es einmal so auszudrücken – belastet. Worauf führen Sie das zurück?

Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass Autolenkende die Radelnden als Verkehrsbehinderung wahrnehmen, aber nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmende. Es gibt die Wahrnehmung, dass die Radfahrenden auf Kosten der Autofahrenden immer mehr Platz zugesprochen bekommen. Nimmt man dann noch einen Fahrstreifen für einen befestigten Radweg weg, sorgt das bei vielen Autofahrenden für Zorn. Wir haben das am Getreidemarkt gesehen, wo vor zwei Jahren eine Spur einem solchen Radweg geopfert wurde: Viele Kfz-Lenkende verzeihen das den Radfahrenden bis heute nicht.

Wie zeigt sich dieser Unmut?

Hupen, schimpfen und diverse Fäkalausdrücke sind dann zu hören.

Was wir uns oft fragen: Könnte man die Fahrrad-Polizei nicht sehr gut nutzen, um Verstöße von Kfz-Lenkenden gegenüber Radfahrenden zu kontrollieren bzw. zu ahnden? Etwa durch Kontrollen in Zivil?

Als Fahrrad-Polizisten kontrollieren wir nicht in Zivil. Uns geht es auch darum, mit unserem Auftreten in Uniform Fehlverhalten präventiv zu verhindern. In Zivil ginge es nur ums Abkassieren – das ist nicht Sinn der Sache. Und die Ausrichtung der Fahrrad-Polizei ist tendenziell schon so, dass wir vor allem das Verhalten von Radfahrenden überwachen.

Dieses Verständnis des eigenen Aufgabenbereichs mag der Grund dafür sein, dass Polizistinnen und Polizisten in der Rad-Community nicht besonders beliebt sind …

Ich persönlich sehe mich nicht als Buhmann. Ich sehe mich als denjenigen, der hinter Recht und Ordnung steht. Wenn nicht ich da stehen würde, stünde ein anderer in der Unform da und würde dasselbe tun. Meiner Erfahrung nach muss man den Leuten vernünftig erklären, was schiefgelaufen ist; ich habe zu den meisten einen guten Draht. Selbstverständlich gilt bei einer Kontrolle wie sonst auch: Wie man in den Wald ruft, so kommt es zurück.

Sie haben uns erzählt, dass Sie eigentlich aus Niederösterreich kommen, aber während der Diensttage in Wien wohnen. Haben Sie in Auto?

Ja, aber ich benutze es de facto nicht, weil mir die Parkplatzsuche zu mühsam ist. Ich brauche das Auto nur für Fahrten nach Niederösterreich.

Würden Sie Ihre Kinder mit dem Rad in Wien fahren lassen?

Fahren lassen ja. Aber das Lernen ist besser in einem geschützten Bereich, auf der Donauinsel oder im Prater. Bis sie das Radfahren einigermaßen beherrschen. Und dann erst auf Radwegen. Weil für Kinder die Eindrücke in der Stadt sehr extrem sind. Da sind Autofahrende, Zufußgehende. Die Anspannung sieht man auch den Eltern an, wenn sie mit ihren Kinder unterwegs sind.

Beschreiben Sie uns doch bitte Ihren persönlichen Zugang zum Radfahren!

In Wien fahre ich damit jeden Tag in die Arbeit. In der Freizeit fahre ich Mountainbike zum Ausgleich. Wenn ich mit dem Rad im Gelände oder auf der Donauinsel unterwegs bin, kann ich Kraft tanken. Das macht mich einfach glücklich. Das kann man mit Geld nicht aufwiegen.

Wären Sie ebenso glücklich, wenn sie dienstlich aufs Pferd umsatteln müssten?

Das wird nicht passieren.

Mehr

Die ungekürzte Audiofassung dieses Interviews gibt es im Fahrrad-Podcast „Reich durch Radeln” zum Nachhören.