Editorial: Ruth Eisenreich, Illustration Banner: Vincent Will.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Es ist für mich eines der großen Mysterien des Alltags: Warum meinen viele Autofahrende, sie müssten mich 20 Meter vor einer roten Ampel noch überholen? Sogar in 30er-Zonen, sogar in bergab verlaufenden 30er-Zonen, wo ich (sofern sie in legalem Tempo fahren) kaum langsamer unterwegs bin als sie? Manche treten extra nochmal aufs Gas, nur um dann direkt vor mir eine Vollbremsung hinlegen zu müssen.

Ich glaube, ein Teil der Antwort findet sich in Simone Feigls Text im Politikteil dieses Hefts. Feigl hat ein Projekt geleitet, bei dem Sensoren Überholabstände maßen. Nicht einmal jeder zweite Überholvorgang erfolgte mit dem sicheren (und bald gesetzlich vorgeschriebenen) Abstand von mindestens eineinhalb Metern.

Am Ende ihres Textes merkt Feigl an, dass viele Menschen an so etwas wie eine Überholpflicht glauben. Sie kommen im Auto gar nicht auf die Idee, einfach ein Stück hinter der Person auf dem Rad herzufahren (so wie sie ja auch hinter parkplatzsuchenden Autos herzuckeln, ohne zu drängeln oder zu hupen).

Ein weiterer Mosaikstein der Antwort findet sich im Ressort Lebensstil. Viele Menschen kennen radverkehrsrelevante Vorschriften gar nicht, schreiben Andrzej Felczak und Elisabeth Füssl in ihrem Text zur Kommunikation im Straßenverkehr und fordern Bewusstseinsbildung.

Ich glaube, zum Nichtwissen kommt ein Sich-nicht-hineinversetzen-können hinzu. Die Perspektive von Fußgänger*innen im Straßenverkehr kennen wir alle. Wie es ist, in einem Auto zu sitzen, wissen auch die meisten – wenn nicht als Fahrende, dann als Beifahrer*innen. Aber das Gefühl, auf dem Rad von einem Auto überholt zu werden, kennen längst nicht alle.

Deswegen an dieser Stelle mal ein Vorschlag: Warum nicht in der Führerschein-Ausbildung eine verpflichtende Fahrradfahrt einführen, analog zur Nacht- und der Autobahnfahrt? Für alle, die aus körperlichen Gründen nicht selbst radeln können, eben im Anhänger oder der Rikscha? Ich vermute, viele Menschen würden danach rücksichtsvoller Auto fahren.

Aber natürlich geht es in diesem Heft nicht nur um Unangenehmes. In unserem Transportrad-Schwerpunkt erfahren Sie, wo Sie sich praktische Cargobikes ausborgen können, unsere Autor*innen haben neue Modelle getestet, und für alle, die beim Kauf von der Vielfalt der Optionen überfordert sind, haben wir eine kleine Entscheidungshilfe erstellt.

Zum Ausklang nehmen wir Sie dann im Reiseteil noch mit auf Hügel und Schotterstraßen im Weinviertel und am Balkan.

Ruth Eisenreich, Chefredakteurin

Viel Freude beim Lesen und gute Fahrt!

Ruth Eisenreich, Chefredakteurin

 

 

 

 


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