Vieles spricht dafür, Radfahrenden das Rechtsabbiegen bei Rot zu erlauben. In halb Westeuropa gibt es solche Regelungen schon, in Österreich sind nicht einmal sinnvolle Pilotversuche möglich.

Plädoyer: Veronika Wirth, Illustration: Jasmin Erler

Wer kennt es nicht? Man kommt mit seinem Rad zu einer roten Ampel, will nach rechts abbiegen. Die Kreuzung ist gut einsehbar. Kein*e Fußgänger*in, kein Auto weit und breit. Man könnte einfach die Kurve nehmen und weiterradeln.

Hier ist Rechtsabbiegen bei Rot schon erlaubt → 1990 Niederlande → 2012 Frankreich → 2012 Belgien → 2016 Dänemark → 2020 Deutschland → 2021 Schweiz

Doch in Österreich verbietet Paragraph 38 der StVO das Fahren bei Rot. Ein Zuwiderhandeln kann eine Geldstrafe bis zu 726 Euro nach sich ziehen – auch wenn keinerlei Gefährdung ersichtlich ist.

Dürften Radfahrende bei Rot rechts abbiegen oder zum Beispiel an T-Kreuzungen geradeaus fahren, solange sie dabei keine Fußgänger*innen behindern, könnten unnötige, lange Wartezeiten vermieden werden. Viele Radfahrer*innen wünschen sich daher eine Reform; im Nationalrat setzte sich im Jahr 2019 Stephanie Cox von der Liste „Jetzt“ dafür ein, ohne Erfolg.

Unfälle, weniger Konflikte

Eine Erlaubnis zum Abbiegen würde das Radfahren erstens attraktiver, zweitens gesünder machen: Weniger Stopps ermöglichen eine flottere, kräftesparende Fahrt, weniger Wartezeiten bedeuten weniger eingeatmete Abgase. Und sie würde, so paradox es erscheinen mag, drittens mehr Sicherheit für Radfahrer*innen mit sich bringen. Denn beim Warten auf Grün stehen Radfahrende meist eingequetscht zwischen Kfz und Gehsteig und befinden sich häufig im toten Winkel der Autofahrer*innen. Viele schwere Unfälle passieren, weil Auto- oder LKW-Lenker*innen beim Abbiegen Radfahrende übersehen. Dürften Radfahrer*innen bei Rot abbiegen, wären sie bereits weg, wenn die Ampel für die Kfz auf Grün schaltet, sagt Roland Romano, Sprecher der Radlobby.

Die Entzerrung des Verkehrsflusses, die eine solche Regelung mit sich bringen würde, würde auch das Konfliktpotential zwischen Radler*innen und Autofahrer*innen reduzieren und hätte somit auch für Autofahrende Vorteile.

Würde aber nicht zugleich das Risiko steigen, dass Radfahrende Fußgänger*innen anfahren? Nein, sagt der Verkehrswissenschaftler Ulrich Leth von der TU Wien: „Pilotversuche haben gezeigt, dass das unter bestimmten Voraussetzungen gefahrlos möglich ist, weil Radfahrende die Kreuzung unmittelbar einsehen können, schnell abbremsen können und dank ihrer geringen Masse auch ein geringes Gefährdungspotenzial besitzen.”

Ampeln wurden wegen Autos nötig

Was heute, wo Ampeln in den Städten ein alltäglicher Anblick sind, leicht in Vergessenheit gerät: Ein Großteil von ihnen existiert für und wegen Autos. Erst mit dem Siegeszug des Autoverkehrs wurden sie nötig, um bei hohen Geschwindigkeiten und dichtem Verkehr Unfälle zu vermeiden. Radfahrer* innen und Fußgänger*innen hingegen können sich untereinander über Blicke und Worte verständigen. Dass in unseren heutigen Städten die für den Autoverkehr nötigen „harten“ Maßnahmen auf Radfahrende und Fußgänger* innen übertragen werden, sei eine Überreglementierung, sagt Ulrich Leth.

In vielen europäischen Ländern ist das Abbiegen, mancherorts sogar das Geradeausfahren, bei Rot für Radfahrende an gekennzeichneten Kreuzungen bereits legal.

Die derzeitige Gesetzeslage in Österreich würde es zwar erlauben, entsprechende Pilotprojekte mit wissenschaftlicher Begleitung durchzuführen. Allerdings würden diese Pilotprojekte dann automatisch für alle Fahrzeuge außer großen LKWs und Bussen gelten. Radlobby-Sprecher Romano lehnt sie deshalb ab.

Es scheint, dass auch die aktuelle Reform der StVO in dieser Hinsicht keine Neuerung bringen wird. Warum findet eine kostengünstige, einfache Möglichkeit, das Radfahren attraktiver und sicherer zu machen, in Österreich keinen Anklang? „Die Kultur der Bevorzugung aktiver Mobilität hat sich hier leider noch nicht durchgesetzt“, sagt Roland Romano. Hierzulande heißt es für Radfahrende also weiterhin: Bitte warten.

 


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