Wer regelmäßig in die Pedale tritt, weiß: Radfahren macht glücklich.
Reinhold Seitl hat für die aktuelle Coverstory neue wissenschaftliche Studien durchforstet, die den Zusammenhang von Radfahren und seelischer Gesundheit belegen.

In einer Studie des „Barcelona Institute for Global Health“ wurden 8.800 europäische Stadtbewohnerinnen und -bewohner in Antwerpen, Barcelona, London, Örebro, Rom, Wien und Zürich nach ihrer Fortbewegung im Alltag und der körperlichen Gesundheit befragt.

Die untersuchten Transportmittel waren Auto, Motorrad, öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad, E-Bike und auch das Zufußgehen. Außerdem wurden Fragen zu sozialen Beziehungen, dem Kontakt zu Familie und Freunden und Gefühlen der Einsamkeit gestellt. 3.500 Personen nahmen auch nochmals an der späteren Zweitbefragung teil. Ergebnis: Radfahrende schnitten bei allen untersuchten Gesundheitsparametern am besten ab. Die Studienteilnehmenden stuften sich selbst als gesünder ein – sowohl in physischer wie in psychischer Hinsicht. Außerdem fühlten sie sich vitaler, weniger gestresst und weniger einsam. In der detailreichen Auswertung wurde auch das individuelle Mischverhältnis der einzelnen Bewegungsarten (z.B. 50 Prozent Fahrrad, 30 Prozent Auto, 20 Prozent Öffi) berücksichtigt. Bemerkenswert ist, dass die Studie in allen Städten zu den gleichen Ergebnissen führte. Freilich bleibt hier der kausale Zusammenhang offen, ob Fahrradfahren „automatisch“ zu besserer psychischerGesundheit führt oder ob sich die Gesunden eher aufs Fahrrad setzen. Genau dieser Frage widmete sich eine Studie des „Oxford Centre for Human Brain Activity“. Die Forschenden erfassten 75 unterschiedliche körperliche Aktivitäten aus Alltag, Freizeit und Sport von rund 1,2 Millionen Erwachsenen. Die Querschnittsauswertung zeigte, dass die aktiven Probanden monatlich um 1,49 Tage weniger bei schlechter psychischer Gesundheit waren als sportlich Inaktive. „Bewegung ist mit einer geringeren psychischen Belastung für Menschen verbunden – unabhängig vom Alter, von der Ethnie, vom Geschlecht, vom Haushaltseinkommen oder vom Bildungsniveau“, betont der Studienleiter Sammi R. Chekroud gegenüber dem medizinischen Online-Magazin medscape. com.

Patienten mit Depression in der Vorgeschichte brachten Sport mit einer Reduktion ihrer „schlechten“ Tage von 34,5 Prozent in Verbindung. Jene Sportarten mit der besten Wirksamkeit auf die Psyche waren Mannschaftssport und Radfahren. Nicht-sportliche Aktivitäten zeigten einen deutlich geringeren positiven Gesundheitsaspekt.

Dass sportliche Aktivität (auch) der Seele gut tut, belegt diese breit angelegte Studie eindrücklich. Kritiker weisen aber darauf hin, dass nur die Befindlichkeit abgefragt wurde, also keine objektiven Diagnosen und keine nachfolgenden Befragungen zur Verfügung standen. Den gesundheitlichen Benefit von Radfahren können aber zwei große Studien aus Skandinavien beweisen: An der Abteilung für Sportwissenschaften und Klinische Biomechanik der Universität Süddänemark in Campusvej wurden die Gesundheitsdaten von mehr als 20.000 schwedischen Männern und Frauen im Laufe einer zehnjährigen Nachbeobachtungszeit zwei Mal untersucht. Zu Studienbeginn waren die aktiv radfahrenden Pendler und Pendlerinnen schlanker (–15 Prozent), hatten seltener Bluthochdruck (–13 Prozent), geringere Cholesterinwerte (–15 Prozent) und seltener Diabetes (–15 Prozent). Nach zehn Jahren wurden die Aktiven der ersten Erhebung und jene, die später noch mit dem Fahrradfahren angefangen hatten, in einer Vergleichsgruppe zusammengefasst. Es zeigten sich folgende Vergleichswerte zu den Inaktiven: –39 Prozent Fettleibigkeit, –11 Prozent Bluthochdruck, –11 Prozent Cholesterin, –18 Prozent Diabetes. Die Umstellung von inaktiver zu aktiver Fortbewegung ist also besonders effektiv. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine weitere Analyse der Universität Süddänemark. Hier wurden 45.000 Dänen und Däninnen nach ihren Radfahrgewohnheiten befragt. Eine Zweitbefragung erfolgte fünf Jahre später; die Nachbeobachtung lief insgesamt über 20 Jahre. Regelmäßiges Radeln zur Arbeit oder/und in der Freizeit senkt demnach das Herzinfarkt-Risiko signifikant (–18 Prozent) im Vergleich zu Nichtradfahrenden. Eine Mindestdauer für den positiven Effekt ist dabei nebensächlich: wichtig sind Regelmäßigkeit und die Intensität der Aktivität. Grundsätzlich gilt: Wer ins Schwitzen gerät, hat mehr davon. Ein Zuviel kann allerdings gegenteilige Effekte bewirken. Sportpsychologen warnen vor Sportsucht. Einige Untersuchungen zeigen, dass sportliche Betätigungen mit sehr langer Dauer oder hoher Frequenz mit schlechteren psychischen Daten assoziiert sein können. Insgesamt – so belegen die Studien – überwiegen allerdings die positiven Effekte. Wer also glücklich und zufrieden die dunklen Wintermonate überstehen will, dem sei das Radfahren dringend ans Herz gelegt: Es lohnt sich!

Studien, die in diesem Artikel zitiert werden:
Avila-Palencia, I.: Environment International 2018 Nov
Chekroud, S.R.: Lancet Psychiatry 8. August 2018
Grøntved, J.: Am Heart Assoc 2016
Blond, K.: Circulation 2016

 


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