Früher wollten wir alle bloß trocken, warm und halbwegs schick durch den Winter kommen. Jetzt soll die Kleidung auch noch grün und fair produziert sein. Aber welche Hersteller halten, was sie versprechen?

Ein Essay über Fair Fashion von Julia Beckel, Fotografie: Andrea Siegl.

Lassen Sie mich ganz ehrlich sein: Radfahrende von heute sind – betrachtet man ihre Kleidung – Puzzlesteinchen einer ökologischen und sozialen Katastrophe: Rad-Trikot und Hose aus Lycra, Regenjacke aus Goretex, Polyester oder Nylon, Trinkflaschen aus Plastik, Weste und Handschuhe aus Microfleece. Synthetische Fasern bedecken uns vom Scheitel bis zur Zehenspitze! Produziert wird das alles auch nicht in der Weberei ums Eck – die ist seit hundert Jahren geschlossen, sondern in China, Taiwan oder Bangladesch unter Arbeits- und Umweltbedingungen, dass uns graust.

Jetzt ist es nicht so, dass sich Radfahrende mit diesem Sündenregister von anderen Personengruppen, die draußen Bewegung machen, unterscheiden würden. Alleine, wir Radfahrende halten uns – zu Recht – zugute, auf ein besonders nachhaltiges Verkehrsmittel zu setzen. Es ist also nur konsequent, auch die Frage zu stellen, wie öko- und sozialverträglich das Gewand ist oder sein soll, das wir tragen.

Eine Studie der Ellen MacArthur Foundation – übrigens im Auftrag großer Textilunternehmen wie C&A und H&M – aus dem Jahr 2017 umreißt die Problematik gut: „Das Textilsystem arbeitet fast vollständig linear: große Mengen nicht erneuerbarer Ressourcen werden extrahiert, um Kleidung zu produzieren, die oft nur für kurze Zeit verwendet wird. Danach werden die Materialien meist deponiert oder verbrannt.“

Auch die großen Textilkonzerne wissen inzwischen genau, dass sich immer mehr ihrer Kundinnen und Kunden dafür interessieren, wie genau die Kleidungsstücke entstehen. Und das Sündenregister ist lang: In ökologischer Hinsicht beginnen die Probleme mit Funktionskleidung bereits bei der Herstellung: Synthetische Fasern sind aus Erdöl gemacht. Die Energie für die Textilproduktion kommt zumeist aus dreckigen Kohlekraftwerken. Darüber hinaus vergiften Farben und Chemikalien bei der Produktion Wasser, Böden und Luft. Mithilfe von Container-Schiffen gelangt die Kleidung in die Märkte in Europa und den USA. Die CO2-Bilanz: schauerlich.

Auch beim Benützen der Kleidung entstehen Umweltprobleme: Jeder Waschgang spült Abrieb aus Kunststoffpartikeln in den Kanal. Zu klein, um ausgesiebt zu werden, landen die Mikropartikel in den Meeren und irgendwann in der Nahrungskette. Von 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren spricht der wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlamentes, das kürzlich ein Verkaufsverbot für – zunächst einmal – Einweg-Kunststoffartikel beschloss. (Die Richtlinie muss jetzt noch die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten finden.)

Soziale Probleme

Als im April 2013 1.138 Arbeitende in Bangladesch beim Einsturz der desolaten Textilfabrik „Rana Plaza“ ums Leben kamen, wurde die Öffentlichkeit auch auf die sozialen Probleme bei der Textilherstellung aufmerksam. Die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie – in Ländern wie Pakistan, Bangladesch oder Indien einer der wichtigsten Wirtschaftszweige mit Millionen Beschäftigten – sind miserabel: geringe Arbeitsplatzsicherheit, niedrige Löhne, mangelhafte Schutzbestimmungen und fehlende Mitbestimmungsrechte. Die gute Nachricht: Der schreckliche Unfall löste ein Umdenken aus. In Deutschland wurde etwa das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen, in dessen Rahmen einander regelmäßig Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände und Regierungsvertreter treffen, um soziale und ökologische Standards zu verbessern. (Ob die dabei erarbeiteten Richtwerte ausreichen, ist eine andere Frage.) Unter dem Stichwort Fair Fashion schmücken sich auch die großen Textilkonzerne immer häufiger mit Gütesiegeln, die auf faire und nachhaltige Produktion hinweisen – eine Reaktion auf die steigende Nachfrage nach Bio-Produkten.

Verwirrung

Ob ein bestimmtes Produkt nachhaltig ist oder nur mit Hilfe von geschickter PR-Arbeit „grün gewaschen“ – das herauszufinden und zu bewerten ist dennoch eine Herausforderung. Nachhaltigkeit ist äußerst komplex. Nicht jeder versteht darunter dasselbe. Voll und ganz nachhaltig zu agieren – ökologisch, sozial und ethisch – ist eine Herkulesaufgabe, die viel Idealismus, Verzicht und Zeit zum Recherchieren verlangt. Umso mehr als der Begriff derzeit so inflationär verwendet wird. Keine Kunststoffe zu tragen, sondern Naturmaterialien (z.B. Wolle, Baumwolle, Hanf), schaut zumindest auf den ersten Blick ökologischer aus. Noch nachhaltiger als das beste Bio-Produkt zu kaufen, ist freilich Kleidung tauschen, Second-Hand-Ware kaufen und: die Sachen tragen, so lange sie halten und nicht nur bis zum Erscheinen der nächsten Kollektion. Dann werden für das – für uns neue – Stück nicht zusätzliche natürliche Ressourcen verbraucht. Generell ist weniger mehr: Ein paar gut ausgesuchte Stücke reichen schließlich.

 

 

Weiterführende Info

> Ellen MacArthur Foundation „A new textiles economy: Redesigning fashion’s future“, 2017.
> Greenpeace „Detox My Fashion“
> Clean Cothes Campaign Österreich

 


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