Ulli Simas Bau- und Schaustellen
Sommerzeit ist Baustellenzeit. Auch beim Radwegebau. Als „Baustellen“ gelten aber auch ungelöste Fragen und offene Themen. Der DRAHTESEL begleitete Wiens Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und Radlobby Wien-Sprecher Roland Romano auf einer Tour durch Wien, die zu Baustellen im wörtlichen und im übertragenen Sinn führte.
PROTOKOLL: Valentin Eisendle
Fotos: Tom Rottenberg
In den letzten Jahren hat sich, was die Wiener Radinfrastruktur betrifft, einiges getan. Als Ulli Sima den DRAHTESEL deshalb dazu einlud, die wichtigsten Schauplätze „ihrer“ Wiener Radwegoffensive gemeinsam unter die Lupe zu nehmen, nahmen wir gerne an. Sich mit der zuständigen Stadträtin vor Ort über Erreichtes, aber auch über Probleme auszutauschen, ist spannend – und verspricht Ein- und Ausblicke.
Freilich: Eine reine PR-Tour soll und darf so eine Fahrt nicht sein. Wir einigten uns also darauf, dass Sima dem DRAHTESEL ihre Lieblings- und Vorzeige-Spots zeigt, während Radlobby Wien-Sprecher Roland Romano die Verkehrsstadträtin an Stellen führt, an denen es noch deutlich Luft nach oben gibt. Licht und Schatten des Radfahrens in Wien also.
Anhand der Listen von Stadt und Radlobby stellte Wiens Radverkehrsbeauftragter Martin Blum eine 15 Kilometer lange Route zusammen: Vom Vorzeigeprojekt Fahrradstraße Argentinier- bis zum Fahrrad-Albtraum Wallensteinstraße führte sie an sechs auf sehr unterschiedliche Art sehr aussagekräftige Stellen.
Radelnd unterhielten sich Sima und Romano einerseits über Projekte, die für Sima als Meilensteine und Erfolge gelten: Ein ehrlicher und offener Austausch über Gelungenes ebenso, wie über Nach- und Aufholbedarf am Weg zur tatsächlich „fahrradfreundlichen Stadt“ Wien, der den mit (verbal) mitunter harten Bandagen geführten Diskurs über Rad- und Verkehrsthemen auf die Straße holte. Also dorthin, wo aus Worten Wege und aus Plänen urbane Wirklichkeiten werden.
Argentinierstraße
Start beim „Leuchtturmprojekt“
DRAHTESEL Die Fahrradstraße Argentinierstraße wurde heuer eröffnet. Was macht sie so besonders?

Rote Straße vor roter Kirche (mit „roter“ Verkehrsstadträtin samt Entourage): Die „Vorzeigemeile“ Argentinierstraße ist längst ein touristisches Fotomotiv. Das freut Sima und Blum (re.), aber auch Romano (dazwischen).
Ulli Sima Du kommst her und merkst sofort: Da ist irgendwas anders als sonst in der Stadt. Unser Vorhaben war, die Hauptradroute zwischen Hauptbahnhof und Innerer Stadt aufzuwerten. Das ist uns zum Großteil sehr gut gelungen. Fahrräder haben hier Vorrang, Autos sind nur zu Gast. Zusätzlich gibt es ganz viel Begrünung und Aufenthaltsflächen für die Menschen, die hier wohnen. Dass wir die niederländischen Experten mit einbezogen haben, war ein Riesengewinn (Sjors van Duren, niederländischer Stadtplaner und Berater für Fahrradmobilität hat die Stadt und den Bezirk bei der Gestaltung beraten. Anmerkung Valentin Eisendle). Das ist das erste Mal, dass es uns gelungen ist, von Wien aus mit einem Radprojekt über die Landesgrenzen hinaus zu reüssieren: Wir haben auch international viel Anerkennung dafür bekommen.
Roland Romano Die Argentinierstraße ist seit 1986 eine Wiener Hauptradroute. Damals gab es aber nur einen sehr schmalen Radweg. Mit der Fahrradstraße Argentinierstraße wurde dem Radverkehr nun der dreifache Raum von damals zur Verfügung gestellt. Eine Fahrradstraße ist neben breiten Radwegen die beste Form für Radschnellverbindungen. Die Fahrradstraße Argentinierstraße ist also definitiv ein Leuchtturmprojekt. Und: In dieser Qualität gibt es das österreichweit bis jetzt kein zweites Mal.
Radzählung der Mobilitätsagentur in der Argentinierstraße | |
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vor dem Umbau (Q1&2/2022) | 517.000 |
nach dem Umbau (Q1&2/2025) | 662.300 |
das ist ein Plus von | 28 % |
Alser Straße
Die seit 30 Jahren „verhungernde“ Hauptradroute
DRAHTESEL Wir stehen hier neben dem Alten AKH. Wieso hat die Radlobby diesen Ort ausgewählt?
Romano Die Alser Straße ist seit 30 Jahren als Hauptradroute ausgewiesen. Aber zum Großteil gilt hier immer noch Tempo 50. Radfahrer und Radfahrerinnen sind mitten im dichten Kfz- und Straßenbahn-Verkehr unterwegs. Es wäre wichtig, dass die in der Innenstadt bereits vorhandene Radinfrastruktur hier Richtung Hernals, also nach Nordwesten, weitergebaut wird: Mischverkehr mit Autos funktioniert nur mit massiver Verkehrsberuhigung. Aber solange hier weiterhin so viel Autoverkehr durchfährt, braucht die Alser Straße für die angestrebte Radlangstreckenqualität einen baulich getrennten Radweg.
Sima (seufzt): Meistens hat es einen Grund, wenn es bisher keine Lösungen gibt. Der enge Querschnitt der Alser Straße inklusive der Straßenbahngleise ist eine der härteren Nüsse der Wiener Radwegeplanung: Schnelle Lösungen, etwa das Aufstellen von Betonleitwänden wie am Gürtel, sind hier schlicht nicht möglich. Wir haben Verbesserungen auf unserer Vorhabensliste, aber eine rasche Umsetzung kann ich leider nicht in Aussicht stellen. Auch kostenmäßig wäre das ein Riesenprojekt: Wir reden hier von 30 oder 40 Millionen Euro. Den ersten Schritt, die Alser Straße radfreundlicher zu gestalten, haben wir jetzt mit dem Radweg auf der Universitätsstraße gesetzt. Aber ja: Der endet ehrlicherweise genau hier, wo es dann – wienerisch gesagt – „haglich“ wird.
Alserbachstraße
„Das war hier gemeingefährlich“
Hier ist gerade vom Donaukanal bis zum Gürtel Baustelle: Warum?

Wo Wien besser wird: Ulli Sima und ihr Team zeigen Radlobby Wien-Sprecher Romano (rosa Karo-Hemd) und Valentin Eisendle (helle Jacke) die Alserbachstraße.
Sima Für mich ist die Alserbachstraße eine der wichtigsten regionalen Rad-Verbindungsachsen: Sie ist alternativlos. Hier gab es bisher nur Radwege zwischen Autospuren: das war gemeingefährlich! Ich bin immer Riesenumwege gefahren. Jetzt wird hier ein sicherer, baulich getrennter Radweg errichtet. Wir sind in der Planung lange dran gesessen, weil es teilweise sehr eng ist, und ich bin echt froh, dass uns hier eine gute Lösung gelungen ist – inklusive Begrünung: Mit Bäumen oder zumindest Gräserbeeten. Das wertet das Bild enorm auf.
Romano Die Alserbachstraße ist in mehrfacher Hinsicht Hauptroute: Hauptgehroute, Hauptstraßenbahnroute und Hauptradroute. Da braucht es die Trennung der Verkehrsträger. Der Mehrzweckstreifen, eingequetscht zwischen parkenden und fahrenden Autos, hat Radlerinnen und Radler gefährdet. Das wird jetzt besser: Wir begrüßen den Umbau.
Wallensteinstraße
Keine Verbesserung am Horizont
Die Wallensteinstrase ist am Rad für viele No-Go-Zone. Was zeigt die Radlobby hier der Stadträtin?

Offener Dialog auf Augenhöhe. Romano über die Wallensteinstraße: „Man kann hier kaum sicher fahren.“ Sima: „Eine Lücke, die wir schließen müssen. Ich kann leider keinen Zeitplan nennen.“
Romano Wir bekommen über diese Straße laufend – und immer die gleichen – Beschwerden: Man kann hier kaum bis gar nicht sicher fahren. Dabei ist die Wallensteinstraße seit 1994 offiziell Hauptradroute. Eigentlich wäre es logisch, die Verbessungen der Alserbachstraße im neunten Bezirk hierher fortzusetzen: Es liegt in der Zuständigkeit und Verantwortung der Stadt Wien, solche Lücken im Hauptradnetz zu schließen.
Sima Ich sehe das genauso. Die Wallensteinstraße ist eine echte Lücke: Wir müssen sie schließen. Erst recht, wenn man bedenkt, dass auf dem Gelände des Nordwestbahnhofs innerhalb der nächsten 10 Jahre 6.500 Wohnungen gebaut werden sollen. Ich kann leider keinen Zeitplan nennen, aber: Wir haben es definitiv am Radar, weil Radfahren hier wirklich keinen Spaß macht. Der Straßenquerschnitt ist aber ein „dickes Brett”: Wo wir zwei Fahrtrichtungen und einen eigenen Gleiskörper haben, wird es für einen Radweg immer relativ eng.
Nordbahnstraße
So geht Zweirichtungsradwegbau heute!
Der Radweg in der Nordbahnstraße steht auf Ulli Simas Positivliste. Wieso?
Sima Für mich zeigt dieser Radweg die Zukunft: So soll es aussehen, wenn hier auf den Bahnhofsarealen mit der Verbauung begonnen wird. Das ist unsere Vision für einen Radweg. Das Niveau, auf dem wir planen, bauen und fahren wollen: Ein ordentlicher Zweirichtungsradweg, drei Meter breit, mit Bäumen – und Radanbindungen direkt ins neu gebaute Viertel.
Romano Zeitgemäß ist es hier auf jeden Fall. Dieser Zweirichtungsradweg in deutlicher Breite ist auch als Ergänzung zum alten Radweg auf der anderen Straßenseite zu sehen. Er illustriert den Unterschied zum Denken der 1970er-Jahre. Drüben: Nebenfahrbahn, Parkspur, schmaler Einrichtungsradweg. Hier: Grünfläche, Baumreihen, autofrei. Das hat „Social Lane”-Charakter, man kann nebeneinander fahren, plaudern – trotz Gegenverkehr. Solche Radwege wären vielerorts wünschenswert – und möglich!
Wagramer Straße
Von Kagran in die City flitzen
Wo befinden wir uns gerade?
Sima In Kagran, vor dem Donauzentrum. Hier haben wir im Juli das letzte Teilstück unseres „Radhighways“ fertig gestellt. Das Projekt ist wahnsinnig schön geworden. Wir haben für viel Grün und Aufenthaltsqualität gesorgt und hier einen wirklich qualitativ hochwertigen Zweirichtungsradweg, auf dem man „highwaymäßig“ schnell und gut bis zum Kagraner Platz durchfahren kann. Ich habe große Freude mit dem Projekt und bin stolz und zufrieden.
Romano Grundsätzlich können wir das bestätigen. Die Wagramer Straße ist ja Teil der Radschnellverbindung Nord und auch seit den 1990er-Jahren als Hauptradroute definiert. Die alte Zick-Zack-Führung mit Randsteinen und mühsamen, langen Ampelwartezeiten war immer ein Problem. Das ist jetzt ein Upgrade, das den Namen „Highway“ wirklich verdient. Wir sagen dazu aber eben „Radschnellverbindung“: Kleine Seitengassen sind verkehrsberuhigt, an großen Ampeln kommt man zügig weiter.