Es wird ja nicht nur an Radwegen und Infrastruktur gebaut: Immer mehr Pumptracks und Bikeparks, aber auch Selfmade-Jumptracks helfen, die „Skills“ am Rad zu schulen. Was für die „Gen Z“ selbstverständlich ist, erfüllt Boomer-Eltern mit Neid. Aber auch Stolz.

EINBLICKE: Michael Knoll
Fotos: Michael Knoll

Als ich 6 Jahre alt war, oder vielleicht 5, hatte ich ein Atala BMX. Es war rot, es hatte einen gelben Oberrohrschutz, einen Gang und Bremsen, die den Namen eher nicht verdienten – und es war meine Welt. In meiner Erinnerung bin ich damit recht oft gefahren, von zu Hause Richtung Kindergarten und wieder zurück, über den Friedrich-Engels-Platz. Eines Tages fühlte ich mich verwegen und wollte etwas wissen. Nämlich: Kann ich das Vorderrad hochziehen, lupfen, und dann auf der Kante, die eine der Grünflächen begrenzte (und vermutlich immer noch begrenzt) entlangfahren – selbst wenn sie aus unterschiedlichen Steinen besteht?

Die Feedbackschleife war kurz, das Vorderrad rutschte weg, ich am Lenker vorbei und meine (Milch-)Zähne zogen gegen die Steinkante den Kürzeren: Bis die fixen Zähne nachgewachsen waren, stand am Speiseplan dann eben sehr häufig Suppe.

Das Atala BMX gibt es auch heute noch, es ist weiterhin in meinem Besitz und ich esse weiterhin gerne Suppe – wenn auch nicht ausschließlich. Mein 13-jähriger Sohn Finn sitzt ab und zu auf dem Atala. Wenn er versucht, mit diesem jetzt alten Gaul die Tricks zu machen, die er auf seinen anderen Fahrrädern spielerisch und sicher drauf hat, bitte ich ihn sanft, aber bestimmt, es nicht zu probieren. Seine Empathie und sein Verständnis für Fahrradtechnik machen mir das Gespräch leicht.

Es gab ein Leben vor TikTok & Insta!

PumptrackAls ich in seinem Alter war, gab es das, was er und andere heute aufführen, natürlich auch schon. Auf MTV und den X-Games und im Mountainbikebereich konnte man sehen, was so ein Fahrrad alles kann, wenn es von Menschen bewegt wird, die keine Angst davor haben, auch mal Suppe zu essen – und meist auch nicht, so wie ich, über das Körpergefühl einer Bratwurst verfügten. Damals gab es weder Instagram noch Youtube. Und auch sonst bei weitem nicht so viele Möglichkeiten, sich inspirieren oder informieren zu lassen. Erst recht nicht, wenn man gar nicht wusste, dass es neben Renn- und Stadtrad überhaupt andere Arten von Fahrrad gibt. Aber es gab Communities, Grüppchen meist junger Leute, die sich gegenseitig pushten, gemeinsam Tricks erarbeiteten, gemeinsam Spots auscheckten und gemeinsam Zeit am und mit dem Fahrrad verbrachten.

Das ist, trotz der digitalen Revolution, heute noch genauso: Radfahren an sich ist zum Glück noch etwas zutiefst Analoges. Einerseits hat die Stadt Wien (aber auch in anderen Städten tut sich da einiges) Orte geschaffen, an denen man sich mit einem BMX, Trial- oder Mountainbike austoben kann. Andererseits gibt es auch viele „inoffizielle“ Orte, an denen sich diverse Szenen treffen.

„Pumptrack“ heißt: ohne kurbeln

Am immer noch relativ neuen Pumptrack an der Neuen Donau beispielsweise treffen sich alle möglichen Leute, auf sehr unterschiedlichen Fahrrädern. Ein Pumptrack an sich ist ein geschlossener Kurs, meist aus Asphalt, auf dem man – im Idealfall ohne zu kurbeln – Runden drehen kann: eben durch Pumpbewegungen mit den Armen und Beinen.

Pumptrack

Das „Pump“ in „Pumptrack“ ist ernst gemeint: Nicht-Treten wäre die Idee – aber natürlich wird niemand verjagt, der dann doch „kurbelt“.

Kann man das gut genug, kann man diverse Elemente der Strecke auch als „Kicker“ verwenden und Springen. Und ist man erst mal in der Luft, bieten sich alle möglichen Tricks an. Die Fahrtrichtung ist auf so einem Pumptrack meist vorgegeben, aber man kann den Track auch unterschiedlich, anders oder frei „interpretieren“. Und mit dem richtigen Tempo kann man auch immer wieder neue Lines (er)finden, etwas, das neben den Tricks auch Kernbestandteil der Freude an dieser Bewegungsart ist.

Im tatsächlich neuen Tangentenpark, der an Stelle einer nie wirklich eröffneten Autobahnabfahrt in Simmering gebaut wurde, hat die Stadt einen wirklich vorzüglichen Pumptrack hingestellt, der viele Möglichkeiten bietet, um sich tagelang immer wieder neue Sachen am Fahrrad einfallen zu lassen.

Aber auch auf „alten“ Hotspots wie der BMX-Strecke neben der Prater Hauptallee oder im Skatepark direkt daneben, wurlt es. Stunt-Scooter, Skateboards und BMX existieren hier gleichberechtigt: Es ist eine Freude, dem vermeintlichen Chaos zuzuschauen. Vermeintlich? Ja, weil dann eben doch alle aufeinander schauen – obwohl man vom Streckenrand aus zusehend ständig glaubt, dass es jetzt sofort zu einem Unfall kommen muss. Aber: Es geht sich immer aus.

Ok: fast immer. Selbst Wien-Mobil-Citybikes werden Rampen hinauf- und heruntergefahren und „Gaps“ werden mit ihnen übersprungen: Es ist absolut verblüffend, was ein Fahrrad so alles aushält.

Es gibt aber auch Eigeninitiativen in der Stadt: Am Wienerberg etwa gibt es einen herrlichen „Jumptrack“. Also eine Strecke, auf der die Rampen so gebaut sind, dass man möglichst hoch springen kann. Und dort, wo in St. Marx bald eine Mehrzweckhalle stehen soll, haben findige Leute einen formidablen Skate- und BMX-Park hingebaut, auf dem der Übergang zwischen Freestyle-Sporteln und Party gegen das Wochenende hin fließend wird.

Die Stadt neu entdecken

Mein Sohn verbindet all diese Orte natürlich hauptsächlich mit seinem Fahrrad, aber für ihn ist es auch ganz natürlich, multimodal zu denken. Sein BMX, Trial oder Fully darf in der U-Bahn oder Schnellbahn mitfahren: Ist die Distanz zu groß ist, nutzt er das Öffi-Netz, hat er Zeit und Bock, fährt er.

Dann aber auch über Stiegen und Vorsprünge und Bänke – wo und wohin auch immer es ihm gerade taugt: Finn lernt so die Stadt auf eine völlig andere Art kennen, als ich sie kenne. Seine Wege sind völlig andere als meine. Wo ich eine Betonwüste sehe, sieht er einen Park – und unendlich viele Möglichkeiten für Tricks und Sprünge und Lines und – das vor allem – Freude. Der Weg ist für ihn wortwörtlich das Ziel und wenn ich ihn frage, wo er die letzten zwei Stunden war, lautet die Antwort manchmal: „Am Kanal habe ich einen lässigen Spot entdeckt, magst schauen?“

Dann fahren wir gemeinsam gerade einmal fünf Minuten an einen Ort, an dem ich sicher hunderte Male vorbeigeradelt bin – aber jetzt sehe ich dort etwas, was ich so noch nie gesehen habe. Ich schaue Finn zu und bin megastolz. Und wundere mich ganz nebenbei darüber, wie man ein Fahrrad überhaupt so bewegen kann. So, wie er das spielerisch, lachend und mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit tut – obwohl ich der Meinung bin, selbst ganz ok Radfahren zu können. Aber da wären wir wieder bei der Suppe und der Bratwurst.

Was es bringt
Der Hinweis „(rad)padägogisch wertvoll“ ist vermutlich die einzige Methode, Kinder und Jugendliche vom Pumptrack-Fahren abzuhalten: Es fördert neben Balance und Bike-Handling auch Überblick und soziale Skills, weil das Fahren in Pumptracks ähnlich intuitiv wie Fischschwarm-Bewegungen funktioniert: ohne kommunizierte Regeln – aber meist doch dynamisch-harmonisch.

Wie viele es gibt
Das Magazin „Lines“ listet – Stand: Ende Juli – online osterreichweit knapp 200 Pumptracks auf.
www.lines-mag.at/pumptracks-oesterreich

Michael Knoll Michael Knoll, 40,
ist Gründer und Besitzer des Fahrradgeschäfts Starbike in der Bruno-Marek-Allee (1020)
www.starbike.at
Finn Knoll Finn Knoll, 13,
ist Schüler und Radfahrer. Und als @FNK_Streettrial_mtb auf Insta zu finden