Gaffi Garhofer ist Fahrradmechanikerin, Radreisende und ehemalige Rennfahrerin. Während sie in ihrer Werkstatt an den Rädern ihrer Kund*innen herumschraubt, erzählt sie, warum sie schon tote Katzen durch Wien gefahren hat und was sie an den Radwegen in Österreich stört.

Interview: Klaus Brixler, Ines Ingerle, Fotos: Andrea Siegl.

Gaffi, wann bist du zum ersten Mal auf einem Rad gesessen?
Gaffi Garhofer Ich glaube, ich war drei, als ich Radfahren gelernt habe. Ich bin im nördlichen Waldviertel großgeworden, und Radfahren ist eine soziokulturelle Kompetenz, die man da oben im frühesten Alter vermittelt bekommt. Damals gab es auch noch nicht diese Helikopter-Eltern, die einen mit dem fetten SUV überall hinkutschieren. Mein erstes Fahrrad war ein winziges Ding mit Stützrädern und ohne Freilauf.

Wann hast du beschlossen, Fahrradmechanikerin zu werden?
Mit 15 wollte ich eigentlich die Schule schmeißen und eine KfZ-Mechaniker-Lehre machen, durfte aber nicht. Ich hätte die Familientradition weiterführen und die Steuerberatungskanzlei übernehmen sollen, aber ich arbeite gern praktisch und habe mit Zahlen nichts am Hut. Ich habe dann die Matura gemacht und bin, sobald es gegangen ist, aus dem Waldviertel abgehaut – die ländliche Umgebung der 80er-Jahre war nicht das Leiwandste.

Wo bist du hingegangen?
Nach Irland. Ich hatte Freunde dort, und weil ich eine Passion für Film und Fotografie habe und mich in Wien auf der Filmakademie bewerben wollte und Material dafür gebraucht habe, habe ich dort Reportagen über den Nordirland-Konflikt gemacht. Mit der Filmakademie ist es aber nix geworden, ich glaube, ich war denen beim Interview zu frech. Dann hatte ich keinen Job und habe mich unter Druck gefühlt, ein Studium anzufangen. Also habe ich eine Zeit lang Wirtschaftsinformatik und Jus studiert. Das war nicht uninteressant, nur kam irgendwann der Punkt, wo ich gewusst habe: Ich werde sicher nix in die Richtung machen. Das war mir zu trocken dafür, dass ich den Rest meines Lebens damit verbringen soll.

„Sobald es gegangen ist, bin ich aus dem Waldviertel abgehaut“

 

Und dann?
Bin ich über einen Schulfreund, der dort gearbeitet hat, zu Veloce gekommen und zwei, drei Jahre lang für die gefahren. Dort habe ich meine Räder immer selbst repariert und irgendwann auch die der Kollegen. Radelschrauben machst du als Kind am Land ja auch selber, die Nachbarskinder haben mir gezeigt, wie das geht, daher konnte ich das.

Warst du damals die einzige Frau bei Veloce?
So etwas fällt mir nicht auf. Ich nehme Leute als Menschen in ihrem Charakter wahr. Ob das ein Bub oder ein Mädel ist, ist in meiner persönlichen Wahrnehmung auch nicht anders, als ob jemand rote oder schwarze Haare hat oder eine Brille oder nicht. Ich gendere auch nicht explizit – warum sollte ich, solange es in den Köpfen, in der Politik und im Wirtschaftsleben nicht angekommen ist, dass die Leute gleich viel gelten? Generell regen sich die Leute heute über zu viele Dinge auf, die in Wirklichkeit egal sind. Wenn ich unterwegs bin und hinter mir ist die Bim, dann breche ich mir doch keinen Zacken aus der Krone, wenn ich sie bei nächster Gelegenheit vorbeilasse, statt mich drüber aufzuregen, dass der Bimfahrer mich anklingelt.

Wie war das Botendienstfahren in den späten 80ern?
Ganz anders als heute. Es waren andere Aufträge, und der Verdienst ist heute nicht mehr so leiwand wie früher. Am Anfang gab es noch nicht einmal Fax, geschweige denn E-Mail. Wir sind viel für die Werbe- und die Fotobranche gefahren: Negative, Kontaktabzüge, Filme zum Entwickeln. Aber wir haben auch Sackerln mit toten Katzen vom Tierarzt abgeholt und auf die VetMed gebracht. Zahnprothesen, Zahnabdrücke, Blumensträuße, Schlüssel. Einmal hat einer jemanden für die Nacht abgeschleppt, und als er in der Früh in die Arbeit gegangen ist, hat er vergessen, dass die Eroberung von letzter Nacht noch in der Wohnung lag, und hat die Tür zugesperrt. Der hat dann panisch einen Fahrradboten gerufen, um die Liebschaft befreien zu lassen.

„Vor allem ältere Frauen finden es super, dass ich das mache“

 

Inzwischen bist du ausgebildete Radmechanikerin?
Der Radmechaniker als Lehrberuf wurde in den 70ern abgeschafft und wegrationalisiert. Es wurde kein Bedarf mehr gesehen, weil alle mit dem Auto gefahren sind. Es gibt also heute ganz wenige, die noch Radmechaniker gelernt haben. Einige haben den Radmechaniker- Meister auf Dispens gemacht, das heißt, sie haben ihre Berufspraxis nachgewiesen und konnten so ohne Lehre die Meisterprüfung machen. Ich hatte aber nie die Zeit und die Muße für die Prüfung.

War das kein Nachteil für dich im Berufsleben?
Hätte ich mich damals schon selbständig machen wollen, hätte ich die Meisterprüfung dafür gebraucht. Aber inzwischen ist die Radreparatur ein freies Gewerbe, jetzt brauche ich den Titel nicht mehr.

Wie ist es als Frau in deinem Beruf? Behandeln Kund*innen oder Kolleg*innen dich anders als die Männer?
Ich bekomme maximal Anerkennung und positives Feedback. Vor allem ältere Frauen finden es super, dass ich das mache.

Früher bist du auch Rennen gefahren …
Als ich Anfang 20 war, haben Freunde mich mitgenommen, mich animiert, das auszuprobieren. Da fängt man halt mit Spaßevents an, und irgendwann landest du beim mehr oder weniger seriösen Rennsport. Erst bin ich Straßenrennen gefahren und dann Radmarathons, ein paar Bahn- und Cyclocross-Rennen. Aufgehört hab ich erst 2009, mit Anfang 40. Meine Cyclocross-Karriere war von Misserfolgen gekrönt, aber von der fahrtechnischen Seite her ist Cyclocross superinteressant. Du ruderst mit einem Radl, das eigentlich mehr ein Rennrad ist, im Gatsch herum und musst über Hindernisse drüber, das ist total fordernd. Leider ist der professionelle Damenradsport in Österreich ein trauriges Thema. Für den Radsport insgesamt gibt es zu wenig Interesse, und für eine Frau, die Rad fährt, interessiert sich nicht einmal der Radsportverband.

Du hast ein Haus auf Sansibar gebaut und jahrelang im Winter dort trainiert …
Ein Freund hat mich gefragt, ob ich auf den Kilimanjaro mitkomme. Daraus wurde im Jahr 2003 eine dreimonatige Reise mit Aufenthalt in Sansibar, und dort hat’s mir total getaugt. Damals gab es dort kaum asphaltierte Straßen, nur Feldwege, und als öffentliches Verkehrsmittel nur Dalla-Dallas, also Kleinbusse ohne fixen Fahrplan, die bei jedem Misthaufen stehengeblieben sind. Ich bin also aus praktischen Gründen dort immer mit dem Mountainbike herumgefahren. In den letzten Jahren hat der Verkehr in Sansibar aber eklatant zugenommen, mehr Touristen, mehr Straßen, keine Ruhe mehr. Das wurde mir zu eng. 2016 hab ich das Haus verkauft. Mein Mann und ich sind jetzt jedes Wochenende im Waldviertel, weil wir von meinem Vater die Forstwirtschaft im Nebenerwerb übernommen haben. Das ist ein zeitintensives Hobby, ich mache es aus Liebe zur Umwelt, aber es ist auch ein Ausgleich zum Radfahren, es erdet mich. Wir haben dort auch einen alten Bauernhof gekauft, den wir jetzt herrichten, damit wir in der Pension mal raussiedeln können.

Wie kann man sich das Radfahren in Tansania vorstellen?
In vielen Dritte-Welt-Ländern werden Radfahrer als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen und nicht als Hindernis. So war das in Dar Es Salaam, wo ich anfangs auf dem Weg nach Sansibar zwischenstoppen musste, so war das im Oman, wo ich auch einmal unterwegs war. Es ist immer Stau, mit dem Rad kommt man am besten durch, und die Autofahrer passen mehr auf, weil Radfahrer auf der Fahrbahn etwas normales sind. Du wirst nicht wie in Österreich marginalisiert und auf den Radweg verdrängt.

Du bist gegen Radwege?
Ein Fahrrad ist ein Fahrzeug, und Fahrzeuge gehören auf die Fahrbahn. Wenn ich mit kleinen Kindern fahre, dann fahre ich natürlich lieber auf einem Radweg, und dann kann der auch baulich getrennt sein. Aber in Österreich baut man Radweg-Ghettos, um die Radfahrer aus dem Verkehrsgeschehen zu entfernen. Das ist der komplett falsche Weg. Die Radwege-Benützungspflicht gehört weg. Das würde auch die Rad-Infrastruktur entlasten, so dass Leute mit Kindern oder Leute, die unsicher sind, sie entspannt nutzen können. In Tansania bist du einfach ein Verkehrsteilnehmer, der halt langsamer ist, und gut ist es. Du wirst angehupt – aber es ist ein freundliches Hupen, als Warnung, nicht dieses präpotente „Schleich dich, das ist meine Straße“-Hupen.

 

Dieses Interview entstand in Kooperation mit dem Fahrrad-Podcast Reich durch Radeln.

Gaffi Garhofer wurde 1968 in Linz geboren und ist in Heidenreichstein aufgewachsen. Seit 2021 arbeitet sie in der Werkstatt der Radbar im 15. Bezirk in Wien.

 

Weiterführende Links

> Gaffi – Radbar Wien
> Radbar auf Instagram
> Radbar auf Facebook

 


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