Unsere Autorin radelt beim Fahrrad-Training im Privatkindergarten Wichtelmännchen mit. Dabei erlebt sie hautnah, wie aus kleinen Menschen große Pedalheldinnen und -helden werden

REPORTAGE: Claudia Aschour, FOTOS: Andrea Siegl

In Formation geht es los. Ob Zweierreihe oder Entenmarsch, kein Slalom ist den Wichtelmännchen zu eng, keine Wiese zu gatschig, kein Gegenwind zu stark. Kinderaugen funkeln stolz, und fleißige Füße treten, als ob die kleinen Fahrräder große Rennmaschinen wären. Achtung, fertig, aufgestiegen! Wer schon einmal ein Kind hat etwas erlernen sehen, weiß: der junge Mensch ist im Grunde ein einziges Gefühlskonglomerat. Unbändige Lust und Weltuntergangsfrust gehören zusammen wie Pommes zu Ketchup. Nur Angst, Angst ist ihm fern. Da kann die erste Schramme noch so tief sein, an der selbstbestimmten Mobilitätsexpansion führt kein Weg vorbei. Das liegt vor allem an der Weltanschauung der Kinder. Sie kümmern sich um das Wie, nicht um Wenn und Dann und Ob. Macht ihnen etwas Spaß, bleiben sie an der Sache dran. Für Kinder zählt das Erlebnis. Beim Turnen wie beim Basteln. Und bei der Mobilität ist es ebenso. Eine gute Voraussetzung, damit aus kleinen Großstadtmenschen angstfrei große Pedalhelden werden. Einer, der wahrscheinlich mehr Kinder während dieser Entwicklung begleitet hat als jeder andere, ist Patrick Bischoff. Als Sportstudent begann er 2013 im Privatkindergarten Wichtelmännchen in Wien-Margareten mit Kindern im Alter von ein bis sechs Jahren ein wöchentliches Sportprogramm zu entwickeln: Mit Klettern, Eislaufen, Schwimmen. Und – einmal pro Woche – mit Radfahren. „Jedes Kind mag sich sportlich engagieren. Wie und wie lange ist halt verschieden“, weiß der diplomierte Sportwissenschaftler. Die Kinder im Wichtelmännchen-Kindergarten absolvieren innerhalb einer Woche mehr Sport als Herr und Frau Österreicher innerhalb eines Monats. (Zumindest wenn man zum Vergleich die Zahlen aus dem Österreichischen Ernährungsbericht 2012 heranzieht.)

Das ist schon mein zweites Rad (Laufrad, Anm.) zum Geburstag. Damit kann ich ganz schnell laufen. Das ist lustig. Das alte ist im Keller. Ich fahre lieber Slalom als gerade. (Lukas, 3 Jahre)

Das ist schon mein zweites Rad (Laufrad, Anm.) zum Geburstag. Damit kann ich ganz schnell laufen. Das ist lustig. Das alte ist im Keller. Ich fahre lieber Slalom als gerade. (Lukas, 3 Jahre)

Maja, 7 Jahre
“Das ist nicht mein erstes Rad. Ich hatte zuerst ein Laufrad. Ich hab mein Rad von der Kathrin bekommen, wie ich noch jünger war. Super ist, dass man durch die Gegend fahren kann und es wird einem kühler. Das ideale Rad sollte blau sein mit Eulen.”
Naemi, 4 Jahre
“Ich finde, mein Rad ist das beste. Es ist mein erstes. Bekommen habe ich es von der Emma aus dem zweiten Stock. Nur im Radgeschäft habe ich eines gesehen, das so glitzert, das hätte ich gerne. Fahren tu ich lieber schnell als langsam. Wieso es schön ist, weiß ich nicht. Ich fahre einfach.”
Paula, 7 Jahre
“Gelernt habe ich Rad fahren mit vier Jahren bei der Oma. Super ist, dass man Gänge hat zum bergauf Fahren. Ich spiele, dass mein Rad ein Pferd ist. Ich hätte auch gerne ein Rad mit Pferden drauf.”
Das ist mein erstes Rad (Laufrad, Anm.). Das Rad hat das Christkind und die Klingel der Osterhase gebracht. Ich fahr’ lieber schnell. Ich hab’ keine Bremse am Rad, weil ich bremse mit dem Fuß. Die Mama sagt, ich bin ein Tigerenten-Turbo.

Das ist mein erstes Rad (Laufrad, Anm.). Das Rad hat das Christkind und die Klingel der Osterhase gebracht. Ich fahr’ lieber schnell. Ich hab’ keine Bremse am Rad, weil ich bremse mit dem Fuß. Die Mama sagt, ich bin ein Tigerenten-Turbo. (Paula, 3 Jahre)

Spaß ist entscheidend

Der entscheidende Faktor für die Motivation der Wichtelmännchen- Kinder ist dabei: Spaß. Geteilt in vier Altersgruppen geht’s einmal in der Woche auf Radtour. Die kleinsten starten mit dem Laufrad durch den benachbarten Bruno-Kreisky-Park, die Fünf- bis Sechsjährigen düsen an guten Tagen acht Kilometer entlang des Wientalradweges bis nach Hütteldorf und zurück. Kein Programm gleicht dem anderen, denn Routine wird schnell zur Langeweile und die führt zur Unachtsamkeit. „Kinder nehmen ihre Umwelt ganz grob war, vergleichbar mit dem Blick durch eine Milchglasscheibe“, erklärt Agnes Grill, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde: „Sie filtern ganz grob nach dem, was sie gerade brauchen. Dadurch sind sie von gleichzeitigen, unterschiedlichen Reizen nicht überfordert.“ Dieser Blick auf die Welt schafft Kindern Vorteile, wenn sie sich ganz auf eine Sache konzentrieren. Doch er birgt mitunter auch Gefahren. „Bis zum Alter von zwölf Jahren können Kinder Geschwindigkeit und Entfernung nicht zuverlässig einschätzen“, warnt die Ärztin. Die Unberechenbarkeit der Kinder muss von ihren Begleitpersonen berücksichtigt werden. Bischoff weiß, wie er die Stadt, die nicht fürs Radfahren gemacht ist, auch mit kleinen Menschen sicher erkunden kann. Um und Auf dafür sind detaillierte Ortskenntnis inklusive regelmäßigem Grätzelcheck und zwischenmenschliches Know-how plus Vertrauen. Faszinierend für Beobachtende: Die Kinder verhalten sich beeindruckend abgeklärt. Innerhalb des Parks erlauben sie sich freizügig den einen oder anderen Abschneider, wohingegen auf der Straße die mit Bischoff vereinbarte Formation ganz penibel eingehalten wird. „Ich kenne die Kinder und weiß, was sie leisten können und wollen“, erklärt Bischoff, der über seinen Verein United In Cycling (UIC) seine Fahrradkurse auch an anderen Kindergärten anbieten und dazu jeweils eigene Instruktorinnen und Instruktoren innerhalb der Pädagogenschaft ausbilden will: „Mögliche Fehler muss ich immer einkalkulieren. Solange die Kinder Freude am Radeln und den Übungen haben, weiß ich, dass sie aufmerksam sind.“ Wie viel Sport ein Kind verträgt, ist übrigens von Person zu Person verschieden. Dennoch gibt es eine offizielle Empfehlung seitens der World Health Organisation, wonach sich Kinder und Jugendliche mindestens eine Stunde am Tag moderater bis anstrengender körperlicher Aktivität widmen sollten. Nachgewiesen ist ferner, dass körperliche Aktivität in jungen Jahren die Reifung der motorischen Fähigkeiten unterstützt. „Je weniger Bewegungserfahrung ein Kind bis zum vollendeten fünften Lebensjahr sammelt, desto schlechter werden auch seine motorischen Fähigkeiten als Erwachsener sein“, erklärt Grill. Ferner würden schon im Kindesalter die Grundlagen zur späteren Bewegungsarmut bzw. Bewegungsfreude gelegt.

Simon, 5 Jahre
“Das ist ein neues Rad, weil das alte nicht mehr passt. Bekommen habe ich es aus einem Geschäft, von irgendeinem Mann. Der Papa war auch dabei. Ich fahre gerne schnell. Bremsen kann ich gut, nur heben kann ich es nicht. Es ist zu schwer.”
Kathrin, 9 Jahre
“Radfahren habe ich mit vier gelernt, in Wien. Mein erstes war ein Laufrad, ich hab’ es von Mama und Papa bekommen. Wenn ich fahre, weht der Wind ins Gesicht und es wird kühler. Das mag ich. Bergauf zu fahren macht mir auch Spaß. Ein gutes Rad soll nicht kaputt sein, eine Bremse und eine Klingel haben und rot sein.”
Alexander, 4 Jahre
“Vorher hatte ich ein Löwen- Rad, jetzt hab’ ich ein Sharky- Rad, es ist das schönste. Ich hab’ es ausgesucht und gekauft. Das kann ich sogar heben. Ich mag schnell fahren und langsam fahren. Ich mag Rad fahren, weil es spannend ist. Meinen Zahn hab ich aber auf der Stiege verloren.”

Wichtig: Vorbildwirkung der Eltern

Ganz allgemein gilt, mit etwa zwei bis drei Jahren sind die motorischen Fähigkeiten weit genug gediehen, um selbstständig Laufrad oder Rad zu fahren. Das Schöne ist, Kinder sind Experten in eigener Sache. Sie bestimmen den Zeitpunkt am besten selbst. Ein wenig Unterstützung, ein passender Helm (Pflicht für Kinder unter zwölf Jahren), dann ist der Rest ein Kinderspiel im wahrsten Sinne des Wortes. Was tun, wenn der Nachwuchs nicht will? Beharrlich bleiben. Einen aktiven Lebensstil und den Spaß am Radfahren vorzeigen. „Vorbild setzt sich auf Dauer durch“, sagt Grill. Und die meisten Kinder, die auf ihren Laufrädern umherflitzen, die aus Transporträdern oder von Kindersitzen lachen, haben unbefangene Freude am Radeln durch die Stadt. Mit ein wenig Motivation können so überraschend lange Strecken bewältigt werden. Fein am Stadtradeln: Dass es für den Fall der Fälle (plötzlich auftauchende, unüberwindbare Müdigkeit, Unlust, glühende Trotzattacke, etc.) immer Transportalternativen gibt. Gesichert ist die Heimkehr immer. Die Wichtel im Bruno-Kreisky-Park müssen jedenfalls nicht mehr motiviert werden. Es beginnt zu regnen, als wir zur Mittagspause unter einem Baum Schutz suchen. Neben mir steht Simon und isst sein Butterbrot. „Stört es dich, wenn es regnet?“, frage ich ihn. „Weiß nicht“, sagt er gleichgültig weiterkauend, „beim Radfahren spür ich gar keinen Regen.“

Wenn das Rad nicht tut, was der Fahrer will, gibt es praktische Tipps zur Lenktechnik vom Profi.

Wenn das Rad nicht tut, was der Fahrer will, gibt es praktische Tipps zur Lenktechnik vom Profi.

Freiwillige Testfahrende sind ganz schnell gefunden.

Freiwillige Testfahrende sind ganz schnell gefunden.

Stella, 5 Jahre
“Ich mag Radfahren, weil es gut ist für mich. Weil es sportlich ist. Ich hab ein orangenes Rad mit einer blauen Schrift und ein bisschen schwarz dazu. Der Sam hat ein blaues, das ist sehr fad. Wenn ich bergab fahre, will ich immer treten, damit ich noch schneller werde. Ich kann sogar schneller fahren als Mama und Papa. Wenn ich bergab fahre, bremse ich mehr mit dem Rücktritt und sonst lieber so mit den Füßen.”
Raffael, 10 Jahre
“Ich habe es mit vier gelernt und Stützrädern. Das hier ist schon mein viertes Rad! Ich kann es ganz einfach heben und schieben, sogar in den Zug hinein. Das ideale Rad muss die passende Farbe haben und ein Mountainbike sein. Ich mag am Radfahren, dass man überall hinfahren kann. Wenn jemand jünger ist und kein Auto hat, kann man mit einem Rad überall hin und ist schneller dort.”
Weiterführende Informationen & Kontakt zum „Sportkindergarten Wichtelmännchen“ von Eveline Neuper in Wien-Margareten: wichtelmaennchen.com
Infos zu privaten Radkursen für Kindergärten von Patrick Bischoff / United in Cycling: unitedincycling.com
Radkurse „KinderRadSpaß“ für Kindergruppen und Schulklassen über die Radlobby, privat oder gefördert von der Mobilitätsagentur der Stadt Wien: fahrsicherrad.at