Kaufen Sie kein E-Bike bevor Sie diesen Text gelesen haben! Reinhold Seitl hat Antworten auf (fast) alle Fragen zu diesem Thema.

Was ist eigentlich ein E-Bike?

In diesem Artikel geht es um den meistverkauften E-Bike-Typ: sogenannte Pedelecs, bei denen erst durch Pedaldruck eine motorische Antriebsverstärkung einsetzt. Diese wird – so will es das Gesetz – ab 25 km/h abgeschaltet. Bei darüber hinausgehender Motorunterstützung (bis 45 km/h) spricht man von S-Pedelecs. Der Betrieb letzterer ist zulassungs- und versicherungspflichtig.

Wie weit komme ich?

Leider gibt es keine seriöse Antwort auf diese Frage. Zu viele Faktoren beeinflussen die Reichweite bzw. Reichhöhe. Die wichtigsten davon sind Kraft und Ausdauer des Fahrenden, sein Gewicht und das des Fahrrades, Streckenprofil, Trittfrequenz, Temperatur, Fahrweise und Stromaufnahme des Motors – und natürlich die Kapazität des mitgeführten Akkus. Es gibt kein standardisiertes Mess-Verfahren, das für die Reichweite vergleichbare Werte liefert. Vergleichbar sind aber technische Angaben zu Motor, Akku und Fahrzeuggewicht. Was man sagen kann: Wer zu langsam tritt, dem geht der Strom früher aus, weil bei den meisten Motoren der optimale Wirkungsgrad in einem bestimmten Trittfrequenzbereich (z.B. 60 bis 90 Kurbeldrehungen/min) liegt.

Leistung: Wie viel muss es sein?

Pedelecs leisten max. 250 Watt. Die Momentkraft wird in Newtonmeter (Nm) gemessen und beschreibt die Drehkraft, mit der ein Motor den Biker beim Treten unterstützt. Je höher das Drehmoment, desto stärker ist die Unterstützung. Mountainbikes weisen oft ein höheres Drehmoment (bis 90 Nm) auf, was auf Kosten der Reichweite geht. Der antriebsschwächere Motor „verbraucht“ weniger, läuft aber länger.

Elektronik: Worauf sollte ich achten?

Intelligente Motoren haben elektronisches „Feingefühl“. Sie können neben einem Geschwindigkeits-, Drehmoment- und Trittfrequenzsensor auch einen Steigungssensor besitzen. Je nach Streckenprofil wählt der Antrieb automatisch eine passende Unterstützungsstufe (z.B. Bosch- und Yamaha-Motoren). Andere Motoren lassen sich z.B. von der Herzfrequenz des Fahrenden beeinflussen und geben „Stoff“ erst ab einer einstellbaren HF-Schwelle (z.B. MAHLE ebikemotion) – die richtige App plus Fitness-Gadget (Brustgurt / Pulsuhr) vorausgesetzt.

Welcher Motor ist der beste?

Die meisten E-Bike-Motoren sind Mittelmotoren, d.h. sie liegen im Tretlager. Das ergibt einen tiefen, zentralen Schwerpunkt und eine effiziente Kraftübetragung via Kette oder Zahnriemen auf das Hinterrad. Das Rad kann mit Standardkomponenten betrieben werden. Bekannte Hersteller von Mittelmotoren sind Bosch, Brose, Continental, Impulse, Panasonic, Shimano und Yamaha. Mittelmotoren werden in fast allen E-Fahrradtypen vom MTB über Trekking- bis zum Rennrad in vielen namhaften Radmarken verbaut. Specialized hat eine spezielle, sehr leichte Antriebseinheit nur für die hauseigenen E-Renn- und E-Gravel-Bikes entwickeln lassen.

Als nicht mehr zeitgemäß gelten all zu voluminöse E-Bike-Motoren angesehen, die direkt an der Hinterradnabe sitzen. Allerdings gibt es neuerdings kompaktere Nabenmotoren etwa von Bafang oder von MAHLE ebikemotion. Bei Nabenmotoren können keine Standardkomponenten am Hinterrad verwendet werden, und der Reifenwechsel verkommt zur Fitzelei. MAHLE ebikemotion bietet derzeit das leichteste Antriebssystem am Markt, eingebaut vor allem in E-Rennrädern (Cannondale, Orbea, Wilier).

Wo geringes Gewicht und sportlicher Look gefragt sind, kann Motor und Akku auch im Sitz- oder Unterrohr eingebaut sein. Eine bekannte Marke ist hier das FAZUA Antriebssystem. Immerhin hat diese deutsche Entwicklung namhafte Hersteller wie Pinarello, Look und Focus überzeugt, die entsprechende E-Bikes im Angebot haben.

Worauf sollte ich beim Akku achten?

Die Akkukapazität wird in Wattstunden (Wh) angegeben. Diese variiert je nach Rad zwischen 250 Wh bis hin zu 1.000 Wh. Manche E-Bikes – wie das Longtail-Lastenrad „Get Stuff Done“ von Tern – haben schon zwei Akkus fix an Bord, oder ein zweiter kann optional mitgeführt und zugeschaltet werden. Damit wird die Reichweite und das Gewicht des Bikes größer.

Beim E-Bike-Kauf sollte auf die Handhabung beim Laden geachtet werden. Kann der Akku zum Laden einfach entnommen werden oder muss das ganze Rad an die Steckdose? Wie lange dauert ein Ladevorgang? Ist eine Schnellladung bis 80 Prozent-Kapazität möglich? Die Anzahl der Ladevorgänge ist bei jedem Akku begrenzt. Der Hersteller sollte mindestens 800 vollständige Ladezyklen garantieren.

Welche Apps sind zu empfehlen?

Wo Elektronik im Spiel ist, sind Apps nicht weit. Diese können die Einsatzmöglichkeiten von E-Bikes wesentlich erweitern. Anpassbare Fahrmodi, Tracking, Konnektivierbarkeit von Drittgeräten (Trittfrequenz-, Puls-, Watt-Messer) samt Datenaufbereitung sind für Fitness-Interessierte ein Must und beeinflussen die Kaufentscheidung. Die Apps sind bei Google Play bzw. im App Store zu finden, angeboten vom Motorhersteller (z.B. Bosch, ebikemotion) oder Fahrradhersteller (z.B. haibike, Specialized).

Wie schwer darf es sein?

Viele E-Bikes sind recht schwere Brocken weit jenseits von 20 kg. An Steigungen Schieben oder über Stufen Tragen wird anstrengend. Eine eingebaute Schiebehilfe erleichtert die Mühe. Die Mitnahme von E-Bikes ist in der Regel in der Bahn gestattet, aber nicht in Fernbussen, und in Flugzeugen werden Lithium-Ionen-Akkus als Gefahrengut eingestuft.

Wie fährt sich das E-Bike?

E-Bikes gibt es praktisch für jeden Fahrrad-Typus. Lastenräder und Mountainbikes, Gravelbikes, City-, Trekking- und Rennräder – sie alle gibt es mit elektro-motorischer Unterstützung. Motor und Akku verändern grundsätzlich das Fahrverhalten eines Fahrrades. Das Antriebssystem vergrößert das Gewicht und verlagert den Schwerpunkt und ändert somit Verwindung, Wendigkeit, Balance, Beschleunigungs- und Bremsverhalten.
Ein gutes E-Bike trägt diesen Anforderungen Rechnung und weist eine angepasste Geometrie, verstärktes Material und kräftige Bremsen auf, um Steifigkeit, Stabilität, Sicherheit und schließlich auch Haltbarkeit zu gewährleisten.
Vor dem Kauf eines E-Bikes ist eine Testfahrt angeraten. Dabei soll man sich vom mühelosen Pedalieren nicht blenden lassen. Das schaffen auch minderwertige E-Bikes. Wichtiger sind differenzierte Erfahrungen in bestimmten Fahrsituationen.
• Beschleunigen
Ist die Beschleunigung sanft oder ruckhaft? Setzt sie unmittelbar oder erst verzögert ein? Wie verhält sich die Beschleunigung in den verschiedenen Unterstützungsstufen?
• Nachschieben
Schiebt der Motor noch nach, auch wenn man nicht mehr auf die Pedale drückt?
• Auskuppeln des Motors
Was macht der Motor, wenn man bei mehr als 25 km/h in die Pedale tritt? Hört die Unterstützung plötzlich oder sanft ausschleifend auf? Wie beschwerlich wird das Radfahren dann?
• Bremsen
Packen die Bremsen auch aus höherer Geschwindigkeit gut zu? Sind sie gut dosierbar? Neigen sie schnell zum Blockieren?
• Geradeauslauf und Kurvenverhalten
Die Balance kann man gut beim Fahren im Stehen testen. Liegt der Schwerpunkt zu hoch, verhält sich das Fahrrad insgesamt kippelig. Liegt er zu weit hinten, wird der Lenker zu „leicht“. Das Vorderrad hält nicht gut Spur und neigt in Kurven zum Wegrutschen. Liegt der Schwerpunkt sehr tief, was bei Mittelmotoren baubedingt häufig der Fall ist, ist die Wendigkeit in engen Kurven eingeschränkt. Dieses Trägheitsverhalten wird durch höheres Gewicht noch verstärkt.

Fazit

Vor dem Kauf eines E-Bikes sollten die Kaufwilligen – wie allgemein beim Kauf eines Fahrrades – zunächst genau überlegen, für welchen Anwendungsbereich das Fahrrad taugen soll. Grundsätzlich gilt: Vorsicht bei Online-Käufen und Schnäppchen. In der Fahrrad-Handlung des Vertrauens zu kaufen, zahlt sich – spätestens beim ersten Service – aus.


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