Mit der neuen Stadtregierung in Wien stellt sich die Frage, wie es mit der Verkehrspolitik in der Bundeshauptstadt weitergehen soll. Hier unsere Wunschliste für die nächsten fünf Jahre

ANALYSE: Andrzej Felczak und Matthias Bernold

Am Anfang der gerade zu Ende gegangenen Legislaturperiode stand ein ehrgeiziges Ziel: Die Erhöhung des Radverkehrsanteils auf zehn Prozent. Fünf Jahre später hat man mit sieben Prozent das Ziel zwar klar verfehlt. Dennoch ist für Radfahrende in Wien etwas weitergegangen: Einige Lücken im Radwegenetz wurden geschlossen, einige Gefahrenstellen entschärft und mit der Mobilitätsagentur eine Stelle eingerichtet, die menschenfreundliche Mobilität in den Köpfen der Menschen verankern sollte. Schließlich landete Wien im renommierten Copenhagenize-Index der radfreundlichsten Städte der Welt auf Platz 16. Immer noch weit entfernt von Rad-Metropolen wie Kopenhagen oder Amsterdam. Aber unterwegs in die richtige Richtung. Wenn auch gemächlich. Ob dieses geruhsame Tempo angesichts der Herausforderungen, denen die Bundeshauptstadt in den nächsten Jahren begegnen wird, ausreicht, muss jedoch bezweifelt werden. Wien – hinter Berlin zweitgrößte Stadt im deutschsprachigen Raum – wächst weiter. Bereits jetzt leben 1,8 Millionen Menschen hier. 30.000 kommen jedes Jahr hinzu. Jeden Tag werden in Wien 2,3 Mill. Autofahrten durchgeführt. Dazu kommen 400.000 Autofahrten der Pendelnden aus dem Wiener Umland. Wenn die Lebensqualität hoch bleiben oder besser werden soll, darf der Autoverkehr nicht im selben Ausmaß weiterwachsen wie die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner. Im Gegenteil: Ziel muss die deutliche Reduktion des motorisierten Individualverkehrs sein. Schon jetzt leidet Wien unter den Folgen des Autoverkehrs. Lärm, Abgase, Unfälle und der tägliche Stau schädigen Bürgerinnen und Bürger, sie vergeuden Zeit, Raum und Geld. Eine zeitgemäße, verantwortungsvolle und energische Politik ist gefragt, die den Umstieg auf alternative, weltverträgliche Mobilitätsformen vollzieht und das Fahrrad als umweltfreundliches, bequemes, gesundes und kosteneffizientes Verkehrsmittel nach Kräften fördert. Aufbauend auf dem Stadtentwicklungsplan 2025 (STEP) hat die Radlobby Wien acht Maßnahmen identifiziert, die es ermöglichen werden, den Radverkehrsanteil bis zum Jahr 2020 auf 15 Prozent zu steigern.

1. Radinfrastrukturausbau
Die Qualität des Radverkehrsnetzes muss weiter erhöht werden, insbesondere um neue Zielgruppen wie Ungeübte, Kinder und Ältere anzusprechen. Für Vorsichtige oder Ungeübte ist eine lückenlose baulich getrennte Radinfrastruktur unumgänglich. Die Radrouten auf Hauptstraßen gehören hinsichtlich Sicherheit, Sicherheitsgefühl und Komfort überprüft und gegebenenfalls verbessert. Konkret besteht Handlungsbedarf etwa beim Ring-Radweg. Lückenschlüsse stehen unter anderem bei Naschmarkt, Getreidemarkt, Wiedner Hauptstraße und Währinger Straße an. Anm.: Ob baulich getrennt oder Mischverkehr richtet sich nach den Anforderungen und Gegebenheiten vor Ort. Gute Radinfrastruktur bietet allen Nutzergruppen Sicherheit, Sicherheitsgefühl und Komfort.

2. Langstreckenradverbindungen
Durch Langstreckenverbindungen gewinnt das Fahrrad an Attraktivität für Alltagsradfahrende sowie für Pendelnde aus dem Umland bzw. aus den Außenbezirken, wo das öffentliche Verkehrsnetz grobmaschiger gewoben ist als in zentrumsnahen Bezirken. Die Stadt hat die Übersichtsplanung fertig gestellt. Jetzt darf man gespannt sein, wie Detailplanung und Umsetzung ausfallen.

3. Verkehrsberuhigung
Für geübte Radfahrende sind verkehrsberuhigte Nebenstraßen optimal. Tempo- 30-Zonen mit Maßnahmen zur Einhaltung der Geschwindigkeitslimits, mindestens eine Fahrradstraße je Bezirk und flächendeckendes Radfahren gegen die Einbahn stellen äußerst effiziente und kostengünstige Formen der Fahrradförderung dar. Erfahrenen und flotten Radfahrenden nützt weiters die Aufhebung der Benützungspflicht bei allen gemischten Geh- und Radwegen: Ein Schritt, der auch den Zufußgehenden zugute käme. Anm.: Verkehrsberuhigte Straßen bieten allen Nutzergruppen attraktive Bedinungen zum Rad fahren.

4. Lastenräder
Untersuchungen beim EU-Projekt CycleLogistics bescheinigen Lastenrädern das Potenzial, 25 Prozent der Lieferungen im Stadtgebiet durchzuführen. Mit positiven Effekten für Stadtverkehr, Lebensqualität und Zustellqualität. Eine geeignete Anschubförderung würde die Entwicklung erheblich beschleunigen.

5. Werbung
Der Europäische Fahrradverband ECF analysiert weltweit die Entwicklung des Alltagsradverkehrs. Für Städte mit einem Radverkehrsanteil wie Wien wird eine Kombination aus Infrastrukturausbau und Werbemaßnahmen empfohlen. Letztere sollen neue Zielgruppen auf die Vorteile des Fahrrades aufmerksam machen. Es sei an dieser Stelle ausnahmsweise die Automobil- Legende Henry Ford zitiert: „Wer nicht wirbt, der stirbt.“

6. Bewusstseinsbildung
Bewusstseinsbildende Maßnahmen sind auch ein wichtiges Mittel zur Erhöhung der Sicherheit. Wenn Kfz- Lenkende knapp überholen, gefährden und verunsichern sie Radfahrende. Für viele ist rücksichtsloses Verhalten von Autofahrenden ein Grund, das Radfahren einzuschränken oder sogar aufzugeben. Die Abstandskampagne der Radlobby Österreich zielt darauf ab, Autofahrenden ihr Fehlverhalten bewusst zu machen. Eine von der Stadt Wien durchgeführte, groß angelegte Kampagne mit einer klaren Botschaft würde die Situation verbessern. Warum nicht das Sujet „Abstand macht sicher“ an städtischen Bussen anbringen?

7. Forschung
Die Datenlage beim Radverkehr, bei der Verkehrssicherheit und bei den Bedürfnissen der Radfahrenden ist sehr spärlich. Weder ist bekannt, wie Radfahrende verschiedene Anlagearten bewerten, noch wie sicher sie sind. Insbesondere bei den häufig eingesetzten Mehrzweckstreifen kann keiner sagen, ob sie das Risiko senken oder erhöhen. Ob sie Menschen eher zum Radfahren motivieren oder abschrecken. Gut fundierte und unabhängige Untersuchungen würden Verkehrsplanenden und Radlobby helfen, Planungen sachlicher zu beurteilen. Ein Zugang zu den durch die öffentliche Hand erfassten Verkehrsdaten (Geschwindigkeit, Volumen, Unfallzahlen …) wäre zeitgemäß und zielführend.

8. Budget
In den letzten fünf Jahren wurden für den Radverkehr in Wien zehn Millionen Euro oder fünf Euro pro Jahr und Einwohner investiert. Zum Vergleich: Allein für die Straßenprojekte Abfahrt Landstraßer Gürtel, die Renovierung der Praterbrücke und die Renovierung des Knotens Inzersdorf investierte man 150 Millionen Euro. Um bei der Rad-Infrastrukur aufzuschließen, ist die Erhöhung der Mittel auf ein internationales Niveau notwendig. Zum Vergleich: Kopenhagen investiert 30 Euro pro Jahr und Einwohner, Zürich 23 Euro.

Im Wortlaut:
Die rotgrüne Regierungserklärung über das Radfahren

„Bis 2025 sollen 80 Prozent der Wege der WienerInnen zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem öffentlichen Verkehr zurückgelegt werden. Der Radverkehrsanteil soll auf zehn Prozent steigen“
„Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung soll nach Rücksprache mit den Bezirken vorangetrieben werden“
„Das Citybike-Netz wird ausgebaut und modernisiert. Es erfolgt eine Verdichtung der Citybike-Stationen im bestehenden Gebiet“
„Die Erweiterung der Mitnahmezeiten von Fahrrädern in den UBahnen und die Mitnahme von Fahrrädern bei Regionalbuslinien sollen geprüft werden“
„Der Bereich ,Kinder und aktive Mobilität‘ wird in den nächsten Jahren ein Schwerpunkt sein“
„Die ,Vision Zero‘ wird weiterverfolgt. Für die weitere Erhöhung der Verkehrssicherheit – vor allem für die schwächsten Verkehrsteilnehmenden, die Kinder – wird neben den laufenden Aktivitäten ein Maßnahmenbündel ausgearbeitet und umgesetzt“
„Zur zusätzlichen Attraktivierung der Bezirks- und Ortskerne werden gemeinsam mit den Bezirken an zentralen Orten in den 23 Bezirken verkehrsberuhigte Zonen eingerichtet“
„Die erfolgreiche Einführung von Tempo-30- Zonen in Wohngebieten soll zur Erhöhung der Wohn- und Lebensqualität weitergeführt werden“
„Zur Erleichterung der raschen Öffnung der Einbahnen für den Radverkehr wird eine Überarbeitung der Richtlinie vorgenommen. Der Ausbau der technischen Radinfrastruktur wird fortgeführt. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Lückenschluss im Radwegenetz. Die Errichtung von weiteren Radabstellanlagen, die Einrichtung von Fahrradstraßen und die Umsetzung von Radlangstrecken erfolgt kontinuierlich“

Download des Aktionsplan Radverkehr 2015-2020

Wie sind Sie mit den Absichtserklärungen im neuen rotgrünen Regierungsprogramm zufrieden? Ist das Ziel zehn Prozent Radverkehrsanteil bis 2025 zufriedenstellend? Bei welchen Punkten soll sich die Radlobby besonders für eine Umsetzung einsetzen? Schreiben Sie uns: drahtesel@argus.or.at