Pro & Contra, Christoph Chorherr und Beatrice Stude zur Wiener Bauordnung

contra

Immobilien prägen die Stadt und unser Mobilitätsverhalten für Jahrzehnte, oder sogar Jahrhunderte. Gemäß der Wiener Bauordnungsnovelle 2014 (WBO) und der Änderung des Wiener Garagengesetzes (WGarG) Mitte Juli müssen im Neubau nun wesentlich weniger Pkw-Parkplätze errichtet werden. Die Zahl der Radabstellplätze ist weiterhin Auslegungssache und Anreize für deren Erhöhung weggefallen.
Ein Drittel weniger Pkw-Parkplätze fürs Wohnen und ein Fünftel weniger für Büro- und Geschäftsnutzung sind sehr begrüßenswert. Gleichzeitig ist jedoch der Ersatz von Pkw- durch Fahrrad-Parkplätze entfallen. Auch das monetäre Ablösen von Pkw-Parkplätzen wurde unattraktiver, da die Ablösesumme um nahezu 40 Prozent angehoben wurde. § 119 (5) WBO, der die Radabstellplätze regelt, bleibt unverändert unpräzise:
“Auf jedem Bauplatz mit mehr als zwei Wohnungen ist in dem der Anzahl der Wohnungen entsprechenden Ausmaß ein Raum zum Abstellen von Kinderwagen und Fahrrädern vorzusehen.”

Die hierzu ergänzenden Erläuterungen von der MA 37 aus 2011 sehen ein Richtmaß für die Anzahl, aber keine Verpflichtung vor. Die Praxis zeigt den Auslegungsspielraum, der infolge solcher Formulierungen entsteht.
Was gänzlich fehlt sind Vorgaben für die Qualität der Zugänglichkeit, der Anordnung und der Ausstattung der Radabstellplätze. Barrierefrei mit radtauglichen Rampen oder Aufzügen sowie Fahrgassenbreiten von zumindest 1,70 Meter und die Ausstattung mit Radbügeln sollten verpflichtender Standard sein. Mittelfristiges Ziel muss es sein, die Zahl der Pkw-Stellplätze mit Obergrenzen zu beschränken und Radabstellanlagen durch höhere Untergrenzen abzusichern.
stude
Beatrice Stude ist Stadtplanerin und stellvertretende Vorsitzende der Radlobby Österreich und der IG Fahrrad
Foto: Paris Tsitsos
pro
Die Lektüre des von mir sehr geschätzten letzten Drahtesels verursachte Verärgerung. Der Grund: Eine Grafik, in der, bezugnehmend auf die neue Bauordnungsnovelle, Wien bezichtigt wird, äußerst nachlässig bei der Stellplatzverpflichtung für Fahrräder zu sein. Die telefonische Rückfrage ergab, dass Grundlage des Artikels ein früher Entwurf der neuen Bauordnung war. Beschlossen wurde anderes. Uns Grünen war es in den Verhandlungen ein großes Anliegen, die Schaffung von Radabstellplätzen klar in der Bauordnung zu verankern. Das ist nach Verhandlungen gelungen. So steht jetzt in den erläuternden Bemerkungen der neuen Bauordnung (die Teil des Gesetzes sind):
„Bei der Interpretation des § 119 ist davon auszugehen, dass bei Neubauten als Richtmaß je 30 m² Wohnnutzfläche ein Fahrradabstellplatz zu errichten ist, wobei im Einzelfall auf die örtlichen Gegebenheiten und die voraussichtliche Bewohnerstruktur Bedacht zu nehmen ist.”
Warum, so mag man fragen, „nur“ in den erläuternden Bemerkungen und nicht klar im § 119?
Weil es große Bauvorhaben gibt, beispielhaft seien hier Pflegeheime genannt, wo derart viele Radabstellanlagen nicht notwendig sind.
Tatsache ist, dass mit der jetzt beschlossenen Formulierung, im Regelfall je 30 Quadratmeter Wohnfläche einen Radabstellplatz errichten zu müssen, Wien langjährige wichtige Forderung diverser Radorganisationen erfüllt hat.
Viel ist im Radverkehr noch zu tun, auch vieles zurecht zu kritisieren. Fortschritte sollten aber nicht verschwiegen werden.
chorherr
Christoph Chorherr ist Gemeinderat und Planungssprecher der Wiener Grünen
Foto: Christoph Chorherr (Grüne Wien)