Der DRAHTESEL entlarvt gängige Legenden, die in einer seriösen Mobilitätsdebatte nichts verloren haben. Hier kommt die Wahrheit über die volkswirtschaftlichen Kosten von Kfz- und Radverkehr.

FAKTENSCHAU: Mario Sedlak, MITARBEIT: Alec Hager
ILLUSTRATIONEN: Anna Hazod

Mythos 1:

Autofahrende als Melkkühe der Nation
_illus_politik_mythen-01

Autofahrende fühlen sich abgezockt, aber die wissenschaftliche Faktenlage ist eindeutig: Verglichen mit den erheblichen externen Kosten, die sie verursachen, sind Autolenkende immer noch viel zu billig unterwegs. Laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) verursacht Österreichs Straßenverkehr Kosten von rund 16 Milliarden Euro jährlich – gerade einmal die Hälfte davon ist durch Einnahmen gedeckt. Pro Autokilometer klafft eine Lücke von bis zu 33 Cent in der Zahlungsbilanz, wenn man alle nicht bezahlten Folgekosten und erhaltenen Förderungen wie Pendlerpauschale und Kilometergeld summiert. Im Schnitt müssten Autofahrende mehrere tausend Euro pro Jahr nachzahlen, um Kostenwahrheit herzustellen. Allein die Gesundheitskosten, die durch den Verkehr entstehen, machen laut VCÖ fast 1,4 Mrd. Euro pro Jahr aus. In verkehrsbelasteten Gebieten leben die Menschen aufgrund der Abgase im Mittel um ein Jahr kürzer. Hinzu kommen mindestens 100 Mill. Euro pro Jahr für Erkrankungen infolge von Verkehrslärm sowie 1,36 Mrd. Euro pro Jahr für entwertete Immobilien. All das fällt beim Radverkehr weg. Die Diplomarbeit von Gregor Trunk am Institut für Verkehrswesen der Wiener Universität für Bodenkultur kommt zum Schluss, dass der gesellschaftliche Nutzen des Radverkehrs bis zu 85 Cent pro gefahrenem Kilometer beträgt.

Mythos 2:

Radfahrende sind Schmarotzer
_illus_politik_mythen-02

Gern bemühte Legende: Radfahrende sind auf Straßen unterwegs, die Autofahrende bezahlen. Fakt ist: Die rund fünf Euro pro Einwohner und Einwohnerin, die laut Kostenaufstellung des Verkehrsministeriums von der öffentlichen Hand jährlich für Radverkehrsinfrastruktur ausgegeben werden, sind eine Investition mit guter Rendite: Je besser man mit dem Fahrrad vorankommt, desto mehr Leute nützen es und sind dadurch nachweislich gesünder. Sind die Menschen gesünder, kommt es wiederum zu weniger Krankenstandstagen, weniger Behandlungskosten und weniger Frühpensionierungen. Eine Studie der OECD beziffert den finanziellen Wert der gesteigerten Fitness auf 1.310 Euro jährlich pro Alltagsradfahrendem. Allein das längere Leben von Radfahrenden ist laut dem evidenzbasierten „Health economic assessment tool“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Österreich ein volkswirtschaftlicher Nutzen von rund 800 Mill. Euro jährlich. Das ist annähernd 20 Mal so viel, wie Radfahranlagen insgesamt kosten. Allgemein ist Radinfrastruktur deutlich billiger als Kfz-Infrastruktur: Ein Fahrradparkplatz ist laut Verkehrsministerium schon um ca. 100 Euro zu haben, während ein Kfz-Stellplatz 3.000 Euro kostet. Für einen komfortablen Zweirichtungsradweg rechnet die Wiener Magistratsabteilung 28 mit 220.000 Euro pro Kilometer. Eine Straße mit zwei Fahrstreifen kostet pro Kilometer 1,1 Mill. Euro. Fazit: Radfahrende sind keine Schmarotzer, sondern zahlen in harter Währung ins Gesundheitssystem. Das Verkehrsministerium hält ausdrücklich fest: „Es ist unbestritten, dass ein Mehr an Radverkehr langfristig erhebliche Einsparungen bringen kann.“

Mythos 3:

Radfahren ist nur etwas für Todesmutige
_illus_politik_mythen-04

Autolobby und Boulevardmedien geben sich Mühe, das Radfahren als brandgefährlichen Zeitvertreib darzustellen. Fakt ist: Das Verletzungsrisiko beim Radfahren ist überschaubar. Selbst beim Tischtennis kommt es zu mehr Unfällen, und Fußballspielen ist sogar neunmal gefährlicher als Radfahren, informiert der VCÖ. Und je mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs sind, desto sicherer wird es für alle: Diesen Zusammenhang wies nicht nur eine Studie des US-Gesundheitsexperten Peter Lyndon Jacobsen im Jahr 2003 nach, auch zeigt er sich in österreichischen Städten mit hohem Radverkehrsanteil wie Salzburg.

Mythos 4:

Radfahrende rauben Kfz kostbaren Platz
_illus_politik_mythen-05

Fakt ist: Nicht Radfahrende nehmen Autofahrenden den Platz, sondern Autofahrende einander. Der VCÖ schätzt die Staukosten, die ein einziges Auto durch tägliche Fahrten verursacht, auf bis zu 2.800 Euro pro Jahr. Laut dem deutschen Autofahrenden-Club ADAC macht an Einkaufssamstagen allein das Parkplatzsuchen bis zu drei Viertel des gesamten innerstädtischen Straßenverkehrs aus. Auf der Fläche, die ein Auto zum Parken braucht, können mindestens acht Fahrräder stehen. Je mehr Leute vom Auto auf’s Rad umsteigen, umso mehr Platz haben also die verbliebenen Autofahrenden. Noch etwas: Österreich hat eines der dichtesten Autobahnnetze in der EU. Dennoch werden weiterhin Milliarden für neue Schnellstraßen-Projekte verplant. Das österreichische Umweltbundesamt sieht bereits eine „überproportional vorhandene Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr“, welche die sanfte Mobilität benachteiligt. Dass die Ausgaben für den Radverkehr mehr Rechtfertigung bedürfen als jene für den Kfz-Verkehr, ist sachlich nicht begründbar.

Mythos 5:

Ohne Auto ist ein Leben unmöglich
_illus_politik_mythen-03

Dass man ohne Auto nicht menschenwürdig leben kann, ist ein weiterer, gern verbreiteter Mythos. Wie das Projekt „Landrad“ in Vorarlberg und die VCÖ-Radfahrumfrage 2014 ergeben, ist Radfahren nicht nur Freizeitbeschäftigung, sondern ersetzt auf einem Drittel der geradelten Wege eine Autofahrt. Gerade im Stadtgebiet schlägt das Fahrrad das Automobil in Bezug auf Schnelligkeit, Kosten und Praktikabilität. Dazu kommen die Vorteile für die Umwelt: Das deutsche Umweltbundesamt schätzt, dass durch eine Forcierung des Alltagsradverkehrs 6 bis 11 Prozent der gesamten CO2-Emissionen des werktäglichen Personenverkehrs eingespart werden könnten. Kein Verkehrsmittel ist energieeffi zienter: Wie die österreichische Energieagentur berechnete, verbraucht ein Radfahrender auf 100 Kilometer etwa 2 Kilowattstunden (kWh). Mit der Bahn würde er im Durchschnitt 9 kWh, im Linienbus 13 kWh und im Pkw 56 kWh für die gleiche Strecke brauchen. Sogar im Güterverkehr hat das Fahrrad enormes Potential: Wie die EU-Studie „Cycle Logistics“ zeigt, könnten mehr als 50 Prozent des innerstädtischen Transportverkehrs von Lastenrädern übernommen werden.