PORTRÄT: Barbara Ottawa

Drei Jahre und acht Monate lang radelt Barbara Graf um die Welt. Während der Reise schraubt sie selbst Räder zusammen, näht Satteltaschen und lebt mitunter von Waldfrüchten.  

„Wenn ich gefragt werde, ob ich für die Reise Sponsorinnen und Sponsoren hatte, dann sage ich: ja“, erzählt Barbara „Bärbel“ Graf: „Die Menschen an den diversen Orten, Freunde und Freundinnen, Helferinnen und Helfer – sie alle haben meine Reise erst möglich gemacht.“

Vor wenigen Wochen ist die 28-Jährige von einer Radreise zurückgekehrt, die sie mehr als dreieinhalb Jahre lang durch die ganze Welt geführt hat. Vom Start in Wien gegen Westen bis Spanien, mit dem Schiff über den Atlantik, mit dem Rad quer durch die USA, dann wieder zu Wasser nach Australien und mit dem Rad quer durch Asien zurück nach Österreich. Dieser Tage ist sie mit Freunden in eine WG gezogen, mit denen sie möglichst bald einen gemeinsamen Hof kaufen und bewirtschaften will. Aber: „Eigentlich habe ich noch immer alles in meinen Packtaschen und könnte jederzeit weg,“ lacht sie.

Für das Interview kommt mich Barbara in meiner Wohnung in Simmering besuchen. Sie scheint noch immer braun gebrannt von der Reise und hat ihre Haare bis auf eine Stelle kurz geschoren. Natürlich ist sie mit dem Fahrrad da. Es ist das selbe, das sie schon quer durch Asien getragen hat, und es hat einen Namen: Lola. In Australien ist der Stahlrenner zusammengebaut worden. „Stahl deshalb, weil man den auch relativ leicht reparieren kann,“ erzählt Barbara. „Einmal sind mir in Kirgisistan die mit samt dem Gepäcksträger aus dem Rahmen gebrochen – da bin ich einfach zum Markt gegangen und hab mir das für zwei Euro wieder zamschweißen lassen.“ Dazu second-hand Komponenten wie Rennlenker, Schaltung, 26“ Felgen, Cantilever-Bremsen. Ein Fahrrad, das auch dem grundlegenden Motto von Bärbels Weltreise entspricht: Improvisation und Do It Yourself (DIY).

„Eigentlich hatte ich nicht geplant, mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren“

Sogar der Start der Weltreise war nicht akribisch vorbereitet, sondern hat sich irgendwie so ergeben. „Eigentlich hatte ich nicht geplant, mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren“, sagt sie. Nach dem Studium habe sie lediglich längere Zeit radelnd unterwegs sein und dem beginnenden Winter entkommen wollen. Sie schnappt sich die alten Packtaschen der Eltern und fährt mit dem Alltagsrad Richtung Westen. „Route hatte ich keine, auch keine echte Ausrüstung, kein Zelt sondern nur eine Hängematte, eine Plane, Second Hand-Fahrradleggings und ein bisschen Werkzeug.“

Aber der Anblick des Meeres in Spanien und die Erzählungen einer Freundin, die selbst „Boat-Hitchhiking“ betrieben hatte, wecken das Fernweh und die Lust auf mehr: „Ich habe in ein paar Marinas Zettel ausgehängt, dass ich gerne per Segelboot in die USA will. Nach viel Nachfragen und vielen Enttäuschungen fand sich jemand, der mich und mein Fahrrad auf die Kanaren mitnahm. Von dort holte mich ein anderes Schiff für die Überfahrt über den Atlantik ab.“

„Ein altes Stück Kette und ein Baum ersetzen die Kettenpeitsche“

Per Segelboot-Stopp geht es bis Martinique in der Karibik, dann nach Kuba, das sie mit dem Fahrrad durchquert. Ein weiteres Segelboot trägt sie nach Florida. Dann radelt sie tausende Meilen quer durch die USA bis nach Kalifornien. Per Mitfahrgelegenheit gelangt sie nach Vancouver in Kanada. Mit einem dort zusammen gebauten Fahrrad fährt sie die Westküste Richtung Süden. Dann wieder aufs Boot nach Mexiko und weiter quer über den Pazifik mit diversen Insel-Stopps. In Australien, bis zum neuen Fahrradbau, per Autostopp in den Norden. Von Bali aus radelt sie durch Indonesien, dann mit der Fähre nach Singapur und schließlich quer durch Asien nach Europa zurück. Nur in China muss die Weltradelnde eine Strecke mit dem Zug fahren, weil sie Schwierigkeiten mit ihrem Visum hat.

Dass Bärbel die Ozeane mit dem Schiff und nicht mit dem Flugzeug quert, ist kein Zufall. Während der ganzen Reise achtet sie auf Nachhaltigkeit, Wiederverwertung und Ressourcenschonung. Ihr Fahrrad und dessen Teile gebraucht sie bis zum Limit und repariert alles so weit als möglich. Die lokalen Formen „lebensverlängernden Maßnahmen“ seien dabei faszinierend gewesen. „In Kuba zum Beispiel gibt sogenannte Poncheras, manchmal nur eine Hütte auf der Straße, wo Reifen aller Art mit der Hand genäht werden“, erzählt Bärbel: „Dann kommt noch ein Stempel drauf – sozusagen das Gütesiegel für die Reparatur.“

Als die von den Eltern geborgten Satteltaschen durchgewetzt sind, schaut sie sich bei einer Taschenmacherin in Tallahassee, Florida, das Handwerk ab und bastelt sich selber welche.

Als sie in Tadschikistan die Ritzel-Kassette von ihrem Hinterrad lösen muss, wendet sie einen unterwegs gelernten Trick an, der die lokalen Mechaniker in Staunen versetzt: „Eine alte Kette, die um einen Baum gewickelt wird, ersetzt die Kettenpeitsche“. Mit diesem Werkzeug, einem Griff an dem ein Stück Kette angenietet ist, und Gegendruck kann die Ritzel-Kassette von der Nabe gelöst werden. Der Baum hilft, diesen Druck zu erzeugen.

„Es war eine der größten Schwierigkeiten, sich als Frau Werkzeug auszuborgen“

„Es war eine der größten Schwierigkeiten, wirklich selbst am Rad zu basteln und sich als Frau Werkzeug auch nur auszuborgen,“ schildert Barbara. Denn viele Männer wollten gleich selbst die Reparatur erledigen. „Aber an meinen Rädern schraube ich lieber selbst herum.“

DSCN3413Das Endergebnis löste immer wieder große Bewunderung aus. Egal, ob es das selbst zusammengestellte Fahrrad in den USA oder das in Australien war, oder die an den Bügeln gebrochene Brille, die Barbara mit alten Fahrradschläuchen zu einer Art Fliegerbrille mit Gummizug umfunktionierte.

 „Er hat seine Handschuhe nicht mehr gebraucht, ich war richtig froh darüber“

Barbara ist nicht die erste Fahrrad-Weitreisende, die erzählt, dass man unterwegs viel geschenkt bekommt, von freundlichen Menschen in kleinen Orten, von Warmshowers-Gastgebern und von anderen Radfahrenden. „Martin, ein Weltreisender, der mit dem Rad aus Tschechien gekommen ist, hat mir seine Handschuhe gegeben, als wir einander im Iran getroffen haben“, erzählt Bärbel: „Er hat sie nach seiner Fahrt durch die Türkei nicht mehr gebraucht. Ich war dann richtig froh darüber.“

Vor allem in Asien und im Nahen Osten gäbe es „nicht viele Routen, die Sinn machen“. Die Radreisenden konzentrierten sich auf wenige Strecken. Solche „Radtourismus-Highways“ eröffnen auch neue Geschäftszweige, etwa für einen Kanadier, der nach Kirgisistan ausgewandert ist und dorthin auch z.B. Schwalbe-Reifen importieren lässt.

„Radreisende sind kein Touristen, sie wollen nicht jede Sehenswürdigkeit anschauen“

Insgesamt betont Barbara die einzigartige Erfahrung, als Radfahrerin die Welt zu bereisen: „Radreisende sind keine klassischen Touristen, sie sehen die Welt anders. Aber das heißt auch, dass es schwierig ist, den Leuten zu vermitteln, dass man z.B. in einer Stadt nicht jede Sehenswürdigkeit anschauen will.“ Oft sei sie lieber an einem Ort geblieben, habe das Fahrrad gewartet und geputzt,die weitere Route geplant und sich mit den Menschen im Dorf ausgetauscht.

Schwierig sei es auch gewesen, der Gastfreundschaft einiger Menschen zu „entkommen“: „Wenn man z.B. in Asien eingeladen ist, kann man nicht einfach duschen, essen und schlafen gehen. Da wird die Familie dazu geholt, man erzählt, es wird übersetzt, gelacht, noch mehr gegessen. Oft war die Zeit am Fahrrad die einzige Zeit, in der ich allein war.“

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Wenn sie einmal allein übernachtet, dann ernährt sich die naturverbundene Weltenbummlerin nicht selten von Pflanzen am Wegesrand, Waldbeeren oder ihrer Lieblingsfrucht, den Maulbeeren.

Betonen möchte Barbara, dass eine solche Reise für eine Europäerin mit EU-Pass relativ einfach ist, für die Mehrheit der Menschen jedoch nicht. Trotzdem sei das Queren von Staatsgrenzen und das Erlangen von Visa, „am herausforderndsten und frustrierendsten“ gewesen: „Aber ein paar gut erfundene Geschichten, genug Geld in der Tasche und etwas Geduld haben meistens ausgereicht, um die Grenze zu passieren“.

Stichwort: Grenzen. Die jüngsten Ereignisse um Asylwerberinnen und –werber in Europa geben Bärbel zu denken. „Ist es nicht schräg, dass mich Menschen wegen meiner weiten Reise bewundern, während andere Menschen, die diese Strecke großteils zu Fuß, teilweise noch mit Kindern auf den Rücken, zurückgelegt haben, dafür als  kriminalisiert und entwürdigt werden. Eigentlich sind sie die wahren Heldinnen und Helden.“